Die Idee
Heute ist es endlich
soweit. Ich fange an. Die Idee habe ich schon mehrere Wochen im Kopf.
Erst klein und unscheinbar hat sie sich im hintersten Eck meines
Gehirns eingenistet. Und ist dort gewachsen. Wurde größer.
Konkreter. Und drängte sich immer öfter in den Vordergrund. Gegen
Ende schrie sie geradezu danach, endlich umgesetzt zu werden.
Also sitze ich hier.
Neben mir eine Kanne Kaffee. Nervennahrung in Form von
Studentenfutter ist in Griffweite. Der PC ist hochgefahren, das
Schreibprogramm läuft. Jetzt. Und während ich die leere Seite
betrachte, schleicht sie die Idee wieder zurück in ihre stille Ecke.
Die ganzen guten Sätze und Pointen, die ich gerade nur zu greifen
brauchte – weg.
Nun ja, nicht so
schlimm. Ich muss eh noch Wäsche waschen.
so ähnlich sieht es manchmal in meinem Kopf aus |
Es ist 3 Stunden
später. Die Wäsche gewaschen und aufgehängt. Die Küche ist auf
Hochglanz poliert. Mein Trockenvorratsregal neu sortiert und
geordnet. Und das Beste: die Idee ist aus ihrem Exil in den tiefen
meines Gehirns zurückgekehrt und sprüht geradezu vor Tatendrang.
Also zurück vor den
PC. Überschrift. Dann der erste Satz. Ich muss zugeben, der ist
richtig gut. Die Idee schaut mir über die Schulter. Zusammen lesen
wir ihn nochmal genau durch. Was für eine Grütze. Ich lösche Ihn.
Der Cursor blinkt erwartungsvoll.
Die Idee beginnt
sich zu langweilen. Ein kleiner Affe mit einer kleinen Trommel vor
dem Bauch tritt neben sie. Zu dritt starren wir auf den leeren
Bildschirm. „Tschak“. Der Affe haut einmal auf seine Trommel.
Dann betrachten wir wieder den Bildschirm. „Tschak Bumm.“ Der
Affe hat das Interesse verloren und beginnt, immer lauter seine
Trommel zu bearbeiten. Der Idee gefällt das, Sie beginnt im Rhythmus
zu springen und zusammen ziehen sie fröhlich lärmend davon. Ich
seufze. Na gut. Immerhin ist die Überschrift gut, kernig und
griffig. Ich speicher ab, schließe das Programm und öffne den
Browser. 5 Minuten Pause werden mir bestimmt helfen meine Gedanken zu
sortieren.
Zuerst besuche ich
die Seite einer großen Tageszeitung, um zu erfahren was in der Welt
heute passiert ist. Nach dem durchlesen der Schlagzeilen weiß ich,
dass alle Spinnen und die Welt einen Schritt näher an den Abgrund
gerückt ist. Also nichts Neues in den Nachrichten. Aber da ganz
unten auf der Seite ist ein Artikel, der meine Aufmerksamkeit erregt:
„Die 5 lustigsten Tiervideos im Netz“. Das ist perfekt, ich werde
mir die anschauen und danach mit frischem Schwung mich um meinen Text
kümmern. Klick. Ein süßes Katzenbaby prügelt wie besessen auf
einen Kaktus ein. Klick. Ein Wombat benutzt eine Schildkröte als
Taxi.
Am Ende habe ich
mehr als die 5 Videos geschaut. Nach den 5 lustigsten Tiervideos habe
ich die nächste Liste angeklickt: Tierbabys beim ersten füttern.
Unendlich goldig. Und da - ein Labrador, der versucht mit seinem zu
breiten Stöckchen durch die Tür zu passen. Klick. Klick. Klick.
Ich will mir einen
Kaffee einschenken, schaue auf und stelle fest, dass ich die Kanne
nur noch schemenhaft erkennen kann. Draußen ist die Sonne am
untergehen, und der Tag, welcher doch gerade erst angefangen hat,
neigt sich dem Ende. Ich mache dass Licht an und atme einmal Tief
durch. Dann öffne ich wieder das Schreibprogramm. Die Überschrift,
schon groß und in dicken Buchstaben geschrieben, scheint mich
hämisch an zu grinsen. Und auch das blinken des Cursors scheint
diesmal ein verächtliches Lachen zu sein. Ich schließe kurz die
Augen, versuche mich zu konzentrieren und suche meinen Geist nach der
Idee ab. Nichts. Ich nehme einen großen Schluck Kaffee und warte,
bis die belebende Wirkung einsetzt. Aber auch hier Fehlanzeige.
Während ich also dasitze und zu nichts anderem in der Lage bin als
den verdammten Bildschirm anzustarren, werde ich langsam schläfrig.
Dann finde ich in einer hinteren Ecke meiner Gedanken die Idee. Sie
sitzt an einem Tressen. Die leeren Flaschen von ihr bezeugen, dass
sie eine gute Zeit mit dem Affen hatte. Der ist nicht mehr zu sehen.
Die Idee sieht auch nicht mehr alzu fitt aus, versonnen schaut sie in
ihre Flasche. Vom Enthusiasmus und der Energie von heute Morgen ist
nichts mehr übrig. Stattdessen ist sie eingehült in einem Mantel
aus Selbstzweifel und Melancholie. Vor morgen Früh ist die nicht
mehr zu gebrauchen. Na gut, eh Zeit für ins Bett zu gehen. Nach
einem letzten Blick auf das leere Blatt fahre ich den PC herunter.
Schlafenszeit.
Am nächsten Tag
weckt mich die Sonne. Ich stehe auf und mache das Fenster auf. Ein
Morgen wie aus dem Bilderbuch begrüßt mich. Klare Luft, blauer
Himmel und das Zwitschern von unendlich vielen Vögeln. Ich atme tief
ein. Heute ist es endlich soweit. Ich fange an.
Weiterlesen: Aus dem Nähkästchen: Finnland
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