Rüdiger Barth und Hauke Friederichs
Die Totengräber
Der letzte Winter der Weimarer Republik
Stöbern – nicht
nur bei Musik stolpere ich so immer wieder über Dinge, die sonst
wohl komplett an mir vorbeigegangen wären. „Die Totengräber“
lag in einem Buchladen, der ausschließlich Mängelexemplare und
anderweitig reduzierte Artikel führt. Ein Laden, in dem man nichts
gezielt sucht. Aber immer wieder etwas findet.
Winter 1932\33. Die
Wirtschaftskrise hat Deutschland im Griff. Auf den Straßen toben
Kämpfe zwischen Linken und Rechten. Und die Politik scheitert
regelmäßig daran, so etwas wie Stabilität zu erzeugen. Franz von
Papen ist Kanzler, hat aber weder im Parlament noch in der
Bevölkerung den nötigen Rückhalt. Im Hintergrund schmieden die
verschiedenen politischen Strömungen ihre Ränke. Alles schaut auf
den Reichspräsidenten Hindenburg: er hat die Macht, Kanzler
abzusetzen und zu ernennen.
Auch wenn der
Klappentext von die Totengräber sich wie ein politischer Thriller
liest, handelt es sich hierbei keineswegs um einen Roman mit
erfundenen Figuren und Handlungen. Rüdiger Barth und Hauke
Friederichs benutzen Tagebücher, Zeitungen, Briefe und öffentliche
Dokumente als Grundlage, um die letzten Tage der Weimarer Republik
aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen. Dabei folgt man keinem
festen Erzählablauf. Vielmehr setzt sich jeder Tag aus Schnipseln
und Erlebnissen verschiedener Personen zusammen. Hitler, Schleicher
und Papen stehen zwar im Mittelpunkt, aber auch Autoren wie Abraham
Plotkin und Redakteure wie Bella Fromm tauchen immer wieder auf.
Anfangs ist das für mich etwas Verwirrend gewesen. Es wird viel hin
und her gesprungen. Hier ein Treffen führender Politiker, da ein
Spaziergang im Park, dort ein Besuch in der Oper. Das Alles wirkt
Anfangs etwas fragmentarisch. Wenn man sich allerdings daran gewöhnt
hat, ergibt sich ein beeindruckendes Stimmungsbild einer Republik
zwischen Elend und Luxus.
Grundsätzlich gilt:
es handelt es sich hier nicht um ein Sachbuch der klassischen Art,
das uns mit Daten und Fakten durch die Ereignisse führt.
Fußnotenfetischisten werden hier nicht glücklich.
Eine gewisse
Grundkenntnis der Ereignisse 1932\33 und die Zustände in der
Weimarer Republik sind durchaus von Nutzen. Eine kleine Chronik am
Ende des Buches ist da hilfreich, wer sich noch nie mit dem Thema
auseinandergesetzt hat, sollte diese vielleicht zuerst lesen.
Mir hat das Lesen
sehr viel Spaß gemacht – für ein Sachbuch eine reife Leistung.
Der Spagat zwischen Unterhaltung und Information gelingt hier relativ
gut, es ist nie trocken oder zäh zu lesen. Es ist ein gelungenes
Porträt der letzten Tage der ersten Demokratie auf deutschem Boden.
Und deren Scheitern. Am Ende ahnt man ein bisschen, wie es damals
gewesen sein muss. Eine Gesellschaft, gespalten zwischen Arm und
Reich. Alltag und Chaos.
Wir alle haben in
der Schule gelernt, dass die Republik gescheitert ist. Die Frage, die
sich mir jedoch immer noch stellt, ist die nach dem warum. Die
Totengräber liefert hier auch keine Antwort. Ich glaube nicht, dass
es eine Frage ist, die jemals ganz beantwortet werden kann. Aber der
etwas andere Blickwinkel und der Versuch, die Stimmung dieser Zeit
einzufangen, fügen ein weiteres, wichtiges Teil zu dem Gesamtbild
der Weimarer Republik hinzu. Für mich absolut lesenswert. Besonders,
wenn man sich die aktuellen Entwicklungen anschaut. Natürlich, man
kann von der Vergangenheit nicht eins zu eins auf die Gegenwart
schließen. Zu unterschiedlich sind die Grundvoraussetzungen,
Begebenheiten und handelnden Personen. Aber es gibt trotzdem
auffallende Ähnlichkeiten: eine immer tiefere Spaltung der
Gesellschaft, ein Kampf um die modernen Medien und – wie zuletzt in
Thüringen – immer schwierigerer politische Verhältnisse. Ich bin
mit der Überzeugung „Nie mehr!“ aufgewachsen. So langsam jedoch
wird diese immer mehr zur Frage: „Nie mehr?“
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