Donnerstag, 25. März 2021

Aus dem Nähkästchen

 

Jugend. Sünden?


Ich habe letztens Radio gehört. Ein frei empfangbarer Sender mit dem Schwerpunkt auf Rockmusik. Ganz angenehm, wenn man einfach mal ein bisschen Beschallung im Hintergrund braucht. Etwas seltsam fand ich jedoch das Format „Beichtstuhl“. Leute rufen dort an, erzählen, was sie früher gehört haben, bevor sie die „einzig wahre“ Musik entdeckt haben. Das wird dann kurz eingespielt und dann, „Zack“, wird dir deine Jugendsünde vergeben. Als ich zugehört habe, war eine Junge Dame am Telefon, die gestanden hat, als Jugendliche Boybands gehört zu haben – Backstreet Boys, Take That und alles, was sonst noch so als Bravo Star Schnitt an den Wänden der Teenie Zimmer hing. Aber diese dunkle, trostlose Zeit ist vorbei. Jetzt hört sie nur noch gute Musik: Rock! Was denn da am liebsten, so fragt der Moderator. Kurze Stille. Dann: „Ach, so eigentlich alles. Rammstein, Ärzte, AC DC und, ach, so alles halt.“ Kurzum: jemand, der früher schon am liebsten dass gehört hat, was der Rest der Welt gut findet, macht dass immer noch. Aber immerhin ist es nun Rock. Die einzig wahre Musik. Und so.

Ein wie ich finde ziemlich dämliches Format. Ist es denn wirklich schlimm, das man früher komplett was anderes gehört hat? Oder es sogar heute noch macht? Wenn ich Bock auf meine „Jugendsünden“ habe, dann hör ich die einfach. Ohne dafür heimlich in den Keller zu gehen. Oder mich danach weniger „Metal“ zu fühlen – was immer auch „Metal sein“ genau heißen mag.

Als jemand, der Ende Neunziger, Anfang der Nuller Jahre groß geworden ist, kann ich aus einem großen Pool an „Guilty Pleasures“ schöpfen. Ganz vorne dabei: Euro Dance. Bravo Hits 10 bis 16 waren damals gerade aktuell. Bis auf ein paar Ausnahmen – meist Boybands mit Zahnpastalächeln, wie schon erwähnt, oder deren weibliche Pendants – sind darauf Perlen des Bum Bum Plastik Gewummer zu finden. Dementsprechend bin ich als Kind auf Scooter, Vengaboys und andere künstlerische Totalausfälle wie ein Flummi durch die Gegend gehüpft. Peinlich? Nö. Damals war das halt die Musik überhaupt. Die großen Kinder haben das gehört, also muss es ja gut sein. Außerdem sind für mich bis heute die besten Partys immer noch die, auf denen ausschließlich Bravo Hits von 1 bis 20 laufen. Was kostet der Fisch? Mir egal, solange der Bass ordentlich wummert.

Dann kam „Tony Hawk Pro Skater 2“. Nicht nur das erste und einzige richtig gelungene Skateboard Spiel für PC und Konsolen. Sondern auch das Spiel mit dem Soundtrack überhaupt. Der wartete unter anderem mit Bad Religion und Papa Roach auf. Sowie dem absoluten Überhammer und der Blaupause für Crossover schlechthin: „Bring the Noise“ von Anthrax\ Public Enemy.

Ich war nie ein Skater. Sportspiel interessierten mich eigentlich auch nicht groß. Aber der Soundtrack – der lief rauf und runter. Der Startschuss für meine Punk und Crossover Phase. Was tatsächlich nur auf den ersten Blick individuell und rebellisch wirkt. War man als Kind „Opfer“ der Eurodance Welle, so kam man dann Anfang der 2000er als Jugendlicher direkt in die Nu Metal Phase rein. Anders zu sein war Mainstream. Und das Zahnpastalächeln im Star Schnitt wich düster dreinschauenden, verwegen wirkenden Jungs. Trotzdem, auch hier gibt es eigentlich nichts, wofür ich mich heute schämen würde. Texte darüber, das man sich unverstanden und ausgegrenzt fühlt, verpackt in harten Gitarren und garniert mit melodiösen Refrains, die beweisen dass unter jeder harten Männerschale ein verletzlicher, einfühlsamer Mensch steckt? Für Teenager die passende und perfekte Musik. Kasten Bier in den Bollerwagen, tragbare Anlage rein und dann ab an den nächsten Baggersee.

Gut, würde ich das heutzutage entdecken, ich würde es liegen lassen. Aber für ein paar Runden auf der Nostalgie Bahn taugt das immer noch. Guano Apes, Staind und Linkin Park finden immer wieder mal in einer Playlist zusammen. Meistens spät Abends und bierselig, wenn man alles aus der Zeit vergessen hat bis auf die Partys, auf denen das als lief. Man sich dann urplötzlich wieder nach diesen Zeiten zurücksehnt. Weil ja alles so anders, soviel unkomplizierter war. Realität und Nostalgie haben selten viel miteinander zu tun. Aber nun gut, vom Crossover zum Metal ist es nur ein kleiner Schritt, sodass „Jugendsünde“ das auch nicht wirklich treffend beschreibt.

Aber da gibt es noch eine Musikrichtung, die ich als jugendlicher gerne gehört habe, die mir auch heute noch viel Spaß macht. Für diejenigen, die true mit v schreiben, ist es der tongewordene Antichrist, die Essenz allen Bösen. Hip Hop. Genauer: Deutschrap. „Jein“ von Fettes Brot lief eigentlich auf jeder Party und in jeder Disco an einem „Wir spielen alles“ Abend. Abgesehen davon, dass man auf das Teil einfach gut tanzen kann, gefiel mir schon immer der Wortwitz und die Art, wie der Song mit der Sprache spielt. „Demotape“ läuft bei mir bis Heute noch rauf und runter. Und das Reibeisen Dendemann macht bei mir immer aufs neue seinen Nichtschwimmer. Warum also trage ich heute keine zu großen Klamotten und lauf mit Ghettoblaster durch die Gegend? Warum heißt der Blog denn nicht „Hoodnews“? Tja, die erste Hochphase des Deutschraps war damals vorbei. Die Rapper, die damals aktuell waren, haben nicht mehr feinen Sprachwitz zur Gesellschaftsanalyse und Kritik genutzt. Sondern prollhaft erzählt, dass sie andere Leute abziehen und sich mit dem Geld dicke Autos, Tonnen von Koks und die teuersten Nutten kaufen. Frauen sind Schlampen. Deutsche Vorstädte plötzlich Ghettos. Außerdem äußerten alle ein sexuelles Interesse an den Müttern anderer. Sollte wohl männlich und stark wirken. Machte auf mich aber eher einen lächerlichen Eindruck. Mein Interesse an Deutschrap war dann auch ziemlich schnell wieder vorbei. Jugendsünde? Nun ja, mit Anfang 20, als ich in der absolut trueesten Metalphase überhaupt war – ihr kennt die sicher: alles außer Metal stinkt, wer was anderes hört ist untrue, und alles unter was weniger als zehn Kilo Nieten hat ist ein Poser Outfit – hab ich das tatsächlich so gesehen. Aber das ging zum Glück vorbei. Wenn ich eine musikalische Jugendsünde habe, dann eigentlich nur diese engstirnige Phase.

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