Donnerstag, 7. Oktober 2021

Aus dem Nähkästchen

Ein bisschen Wehmut und ein RE Post


Das ich zu einer aussterbenden Art gehöre, weiß ich schon eine ganze Weile. Alben kaufen, am Stück hören. Ein Booklet durchblättern. Konzerte mit Stapelweisen CDs in der Hand verlassen. Das Regal schön ordentlich einräumen. Im Laden stehen und A bis Z geduldig durchwühlen. 
Analoge Musik ist schon eine Weile ziemlich am Ende, das weiß sogar ich. Nur ist es mir letztens erst richtig bewusst geworden. Zum einem habe ich erfahren, dass ein CD Laden in Freiburg dicht gemacht hat. Zugegeben, es ist schon eine Weile her, dass ich dort das letzte mal einkaufen war. Aber gerade zu meinen "Ich hör jetzt meine eigene Musik" Anfangstagen hab ich dort regelmäßig Dinge für mich entdeckt. Und meine Anfangstage sind nun einmal auch schon wieder eine ganze weile her, runde 16 Jahre. Und damals war der Laden schon alt. Kurz gesagt: die CD stirbt langsam, aber sie stirbt.
Zum anderen war ich letztens ein paar mal mal wieder bei den großen Unterhaltungsmedien Ketten stöbern. das erste mal seit gut anderthalb Jahren. Ja, ich habe davor auch mitgekriegt, dass über die Jahre die Regale immer kleiner wurden und immer spärlicher bestückt waren. Aber da ich recht regelmäßig unterwegs war, ist mir dass so nie aufgefallen. Es war halt ein schleichender Prozess. Jetzt, mit etwas Abstand, ist mir aufgefallen: schleichend, vielleicht. Aber schon recht weit fortgeschritten. Die Abteilungen haben den Charme eines hessischen Supermarktes an der Baden Württembergischen Grenze am 6. Januar.
Natürlich konnte ich noch wühlen. Natürlich hab ich noch was gefunden. Aber es war auch klar: so allmählich wars dass. Die Jagd wird sich für mich wohl auf Konzerte und den Online Handel verschieben. Ganz in der Hoffnung, dass zumindest die kleinen Labels und der Underground an der Überzeugung festhalten, dass etwas reales in den Händen zu halten zum Musik hören und sammeln einfach dazugehört. 
Vor ein paar Jahren habe ich eine kleine Hommage an den Wühltisch geschrieben, die mir die letzten Tage nicht mehr aus dem Kopf ging. Und die ich euch nicht vorenthalten möchte. Und da es nun einmal bei Blogs so ist, dass alte Beiträge so gut wie nie gelesen werden, präsentiere ich ihn euch hier und heute noch einmal. In Farbe. Und bunt.
 
 

Wühltisch


Samstag Vormittag. Einkaufszeit. Meine Freundin und ich sind zum Bummeln in ein großes Einkaufszentrum gefahren. Bummeln heißt, dass sie von Klamottenladen zu Klamottenladen hetzt, Unmengen an Kleiderständern durchwühlt und dabei über die heutige Mode lästert. Die Menschen wissen wohl nicht mehr, wie man sich ordentlich anzieht. Und die Hersteller liefern von Saison zu Saison seltsamere Ware. Wer glauben die soll das den bitte anziehen? Am Ende einer Runde durch den Laden stehe ich dann voll gepackt mit „Fetzen“ und „billigen Fummeln“ da. Es ist fast überstanden. Auf dem Weg zur Kasse gibt es nur noch ein Hindernis. Der Wühltisch. Menschen können da zu Hyänen werden. Offiziell findet meine Freundin Wühltische überbewertet. Das andere Menschen stundenlang diese Dinger nach Schnäppchen durchsuchen ist ihr selbstverständlich unverständlich.Das hält sie natürlich nicht davon ab, jedes mal an einem stehen zu bleiben. „Nur mal kurz gucken ob was dabei ist“. Dabei bekommt sie ein Glitzern in den Augen. Der Blick erinnert vage an den einer Katze, die in einer Frühlingswiese sitzt. Nach kurzer Zeit fliegen einzelne Stücke wild durch die Gegend. Dinge werden von ganz unten raus gezerrt. Mit kurzem Blick geprüft. Achtlos zur Seite geworfen. Weiter geht die Schatzsuche. Am anderen Ende des Tisches gehen zwei Damen ähnlich vor. Zeitgleich greifen beide nach dem gleichen Stück. Sie halten inne. Starren sich an. Eine lauthals geführte Diskussion, wer von beiden jetzt als Erstes dran war, folgt. Das Gespräch nimmt rasant an Schärfe zu. Es ist wohl das letzte Teil in dieser Farbe und Größe. Das Gezerre und Gerangel wird heftiger. Unbemerkt gleitet das Stück zurück auf den Tisch. Unbemerkt von den Beiden, heißt das. Blitzschnell greift meine Freundin danach, mustert es kurz. „Hübsch“, murmelt sie anerkennend. Sie dreht sich zu mir. „Ok, wir können zur Kasse“ Sie schaut kurz zu den beiden Streithänen. „Bevor sie es merken.“ Danach machen wir eine kurze Pause. Bei einer Tasse Kaffee begutachtet sie in aller Ruhe ihre Beutestücke. Sie sieht zufrieden aus. Ich trinke einen Schluck. „Weist du, ich werde deine Vorliebe für Wühltische nie verstehen“meine ich dann. „Muss so ein Frauending sein. Du ziehst das doch eh nie an“ Sie zuckt mit den Achseln. „Du musst nicht alles verstehen.“
 
Samstag Vormittag. Einkaufszeit. Nach einem kurzen Bummel durch einen Klamottenladen sitzen mein Freund und ich im Kaffee. Er sieht etwas genervt aus. Beschwert sich darüber, dass ich immer so lange brauche. Und dass ich nie an Wühltischen vorbeikomme. Immer diese Frauen und ihr Zwang nach Schnäppchen. Aber egal, heute habe ich keine Lust auf Streit.„Du musst nicht alles verstehen“ antworte ich ihm. „trinke lieber deinen Kaffee aus, dann können wir noch in den Plattenladen.“ Seine Miene hellt sich sofort aus. Der halbe Kaffee verschwindet fast wie durch Magie.Kurz darauf befinden wir uns zwischen endlos scheinenden Regalen voll gestopft mit CDs. Mein Freund geht akribisch alles durch. Dabei kann ich mir anhören, dass Musik heute nichts mehr taugt. Das die neuen Bands alle überbewertet sind. Und das diese und jene nach der dritten Platte nur noch Mist machen. Am Ende hat er den Arm voll gepackt mit Cds. Es ist fast überstanden. Nur noch der Weg zur Kasse. Mit den Wühltischen. Er stellt sich an den Ersten. Blättert Reihe nach Reihe durch. Mit Argusaugen sondiert er Bandnamen und Albumtitel. Manchmal zieht er eine CD raus. Begutachtet sie. Und steckt sie achtlos irgendwo wieder rein.Am anderen Ende des Tisches gehen zwei Herren ähnlich vor. Zeitgleich greifen beide nach dem gleichen Stück. Sie halten inne. Starren sich an. Eine lauthals geführte Diskussion, wer von beiden jetzt als Erstes dran war, folgt. Das Gespräch nimmt rasant an Schärfe zu. Es ist wohl die letzte CD. Ein Original, kein Re- Release. Das Gezerre und Gerangel wird heftiger. Unbemerkt gleitet das gute Stück zurück auf den Tisch. Unbemerkt von den Beiden, heißt das. Blitzschnell greift mein Freund danach, mustert es kurz. „Hübsch“, murmelt er anerkennend. Er dreht sich zu mir. „Ok, wir können zur Kasse“ Er schaut kurz zu den beiden Streithänen. „Bevor sie es merken.“
 

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