Das Musikvideo und Ich
Als
ich bewusst angefangen habe mit Musik hören, lag das Musikfernsehen
in den letzten Zügen. Mtv und Viva sendeten zwar noch Musikvideos
und Shows, welche sich mit dem aktuellen Geschehen in der Pop Welt
auseinandersetzten. Meistens waren irgendwelche frisch gecasteten
Künstler und Gruppen zu sehen, die mit ihrem Zahnpasta Werbelächeln
durch absolut nichts sagende Musikvideos hüpften. Es reihte sich ein
austauschbares Musikvideo an das andere. Sicher, die Gesichter sahen
anders aus. Mal waren es ein Haufen schmachtend dreinschauender
Jungs. Mal Mädels mit Schlafzimmerblick. Statt „Baby, Baby“
wurde „Love, Love, Love“ gesungen. Trotzdem erforderte es für
mich ein hohes Maß an Konzentration, um die Hüpfdohlen
auseinanderhalten zu können. Richtig gut gemachte Musikvideos, die
zu dem Song einen künstlerischen Mehrwert lieferten, suchte man
damals vergebens. Michael Jacksons Zombie Tanz oder Freddys
Hausfrauen Auftritt hatten schon einige Jahre auf dem Buckel.
Wer
damals eben nicht auf Chart Musik stand, hatte es schwer. Head
Bangers Ball war schon lange Geschichte. Andere Shows, die sich mit
Nischenmusik auseinander setzten, waren Mangelware. Oder wurden ins
Nachtprogramm verbannt. Der Tag war für überdrehte Casting Bands
und Schalala reserviert. Wenn mal keine Werbung für ein tolles
Handy Spiel im Spar- Abo Preis lief heißt das. Und natürlich die
neueste und allerbeste Reality Show aus den USA, grottig und lieblos
übersetzt. Alternde Rockstars auf Brautschau zwischen jungen und
konservierten Frauen. Oder die 24 Zimmer der gemieteten Super Villa
irgendeines amerikanischen C Promis. Musikvideos wurden immer mehr
zur Nebensache. Das M bei Mtv verkam zur Nebensache, neue Animes,
Sitcoms und eben noch mehr Reality Formate sollten Einschaltquoten
liefern. Das ging bis zu dem Punkt, an dem sich das Musikfernsehen
selber abschaffte.
Bedeutete
das Ende des Musikfernsehens auch das Ende des Musikvideos?
Vorübergehend, vielleicht. Gerade große Plattenfirmen hielten sich
mit der Produktion neuer Videos zurück. Aber neben dem
konventionellen Fernsehformat entwickelte sich heimlich, still und
leise das Internet. Videoplattformen betraten dieses Neuland. Videos
konnten hochgeladen, gestreamt und geteilt werden. Je schneller das
Internet wurde, desto besser die Qualität der Videos. Und die
Relevanz der Video Portale. Allen vor ran Youtube. Und ganz
allmählich kamen sie wieder: die Musikvideos. Kleine Bands nutzten
die Möglichkeit, um in mühsamer Eigenproduktion ihre Musik
bekannter zu machen. Die Plattenlabels entdeckten Youtube ebenfalls
für sich. Auf eigenen Kanälen promoten sie ihre Bands mit Studio
Reportagen, Track by Track Diskussionen, Interviews und eben
Musikvideos. Zugegeben, an der filmischen Qualität hat sich nicht
viel geändert. Meistens bearbeiten böse dreinschauende Langhaarige
ihre Instrumente in alten Fabrikhallen, verlassenen Wäldern oder
zerklüfteten Gebirgslandschaften. Spannend ist dabei meist nur die
Frage, ob die Jungs ihr Equipment wirklich in die Pampa gefahren
haben oder es gemütlich vor dem Blue Screen drehen konnten.
Hin
und wieder finden sich aber richtig schöne Kleinode, welche nicht
nur musikalisch, sondern auch filmisch überzeugen. So huldigen Lordi
zu „Blood Red Sandman“ den guten alten Horrorfilmen und bieten
eine 3 minütige Variante von „Tanz der Teufel“. Und Deserted
Fear erklären uns, was Zombies und Pfeffi mit flirten zu tun haben.
Auch
wenn die Originalität bei den meisten etwas auf der Strecke bleibt,
Musikvideos sind für mich inzwischen eine willkommene Möglichkeit,
neue Bands für mich zu entdecken. Und dadurch, dass es nicht durch
die Filter eines Programmdirektors geht, der entscheidet was relevant
ist und was nicht, hat das Internet definitiv einen Vorteil gegenüber
dem altmodischen Musikfernsehen: jede Musikrichtung ist vielfältig
vertreten. Was ich sehe und was nicht, entscheide ich.
Zum reinschauen: Lordi und Deserted Fear bei Youtube
Zum weiterlesen: Aus dem Nähkästchen: Früher waren die besser
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