Donnerstag, 5. Oktober 2017

Aus dem Nähkästchen


Das Musikvideo und Ich


Als ich bewusst angefangen habe mit Musik hören, lag das Musikfernsehen in den letzten Zügen. Mtv und Viva sendeten zwar noch Musikvideos und Shows, welche sich mit dem aktuellen Geschehen in der Pop Welt auseinandersetzten. Meistens waren irgendwelche frisch gecasteten Künstler und Gruppen zu sehen, die mit ihrem Zahnpasta Werbelächeln durch absolut nichts sagende Musikvideos hüpften. Es reihte sich ein austauschbares Musikvideo an das andere. Sicher, die Gesichter sahen anders aus. Mal waren es ein Haufen schmachtend dreinschauender Jungs. Mal Mädels mit Schlafzimmerblick. Statt „Baby, Baby“ wurde „Love, Love, Love“ gesungen. Trotzdem erforderte es für mich ein hohes Maß an Konzentration, um die Hüpfdohlen auseinanderhalten zu können. Richtig gut gemachte Musikvideos, die zu dem Song einen künstlerischen Mehrwert lieferten, suchte man damals vergebens. Michael Jacksons Zombie Tanz oder Freddys Hausfrauen Auftritt hatten schon einige Jahre auf dem Buckel.
Wer damals eben nicht auf Chart Musik stand, hatte es schwer. Head Bangers Ball war schon lange Geschichte. Andere Shows, die sich mit Nischenmusik auseinander setzten, waren Mangelware. Oder wurden ins Nachtprogramm verbannt. Der Tag war für überdrehte Casting Bands und Schalala reserviert. Wenn mal keine Werbung für ein tolles Handy Spiel im Spar- Abo Preis lief heißt das. Und natürlich die neueste und allerbeste Reality Show aus den USA, grottig und lieblos übersetzt. Alternde Rockstars auf Brautschau zwischen jungen und konservierten Frauen. Oder die 24 Zimmer der gemieteten Super Villa irgendeines amerikanischen C Promis. Musikvideos wurden immer mehr zur Nebensache. Das M bei Mtv verkam zur Nebensache, neue Animes, Sitcoms und eben noch mehr Reality Formate sollten Einschaltquoten liefern. Das ging bis zu dem Punkt, an dem sich das Musikfernsehen selber abschaffte.

Bedeutete das Ende des Musikfernsehens auch das Ende des Musikvideos? Vorübergehend, vielleicht. Gerade große Plattenfirmen hielten sich mit der Produktion neuer Videos zurück. Aber neben dem konventionellen Fernsehformat entwickelte sich heimlich, still und leise das Internet. Videoplattformen betraten dieses Neuland. Videos konnten hochgeladen, gestreamt und geteilt werden. Je schneller das Internet wurde, desto besser die Qualität der Videos. Und die Relevanz der Video Portale. Allen vor ran Youtube. Und ganz allmählich kamen sie wieder: die Musikvideos. Kleine Bands nutzten die Möglichkeit, um in mühsamer Eigenproduktion ihre Musik bekannter zu machen. Die Plattenlabels entdeckten Youtube ebenfalls für sich. Auf eigenen Kanälen promoten sie ihre Bands mit Studio Reportagen, Track by Track Diskussionen, Interviews und eben Musikvideos. Zugegeben, an der filmischen Qualität hat sich nicht viel geändert. Meistens bearbeiten böse dreinschauende Langhaarige ihre Instrumente in alten Fabrikhallen, verlassenen Wäldern oder zerklüfteten Gebirgslandschaften. Spannend ist dabei meist nur die Frage, ob die Jungs ihr Equipment wirklich in die Pampa gefahren haben oder es gemütlich vor dem Blue Screen drehen konnten.
Hin und wieder finden sich aber richtig schöne Kleinode, welche nicht nur musikalisch, sondern auch filmisch überzeugen. So huldigen Lordi zu „Blood Red Sandman“ den guten alten Horrorfilmen und bieten eine 3 minütige Variante von „Tanz der Teufel“. Und Deserted Fear erklären uns, was Zombies und Pfeffi mit flirten zu tun haben.
Auch wenn die Originalität bei den meisten etwas auf der Strecke bleibt, Musikvideos sind für mich inzwischen eine willkommene Möglichkeit, neue Bands für mich zu entdecken. Und dadurch, dass es nicht durch die Filter eines Programmdirektors geht, der entscheidet was relevant ist und was nicht, hat das Internet definitiv einen Vorteil gegenüber dem altmodischen Musikfernsehen: jede Musikrichtung ist vielfältig vertreten. Was ich sehe und was nicht, entscheide ich.

Zum reinschauen: Lordi und Deserted Fear bei Youtube

Zum weiterlesen: Aus dem Nähkästchen: Früher waren die besser


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