Donnerstag, 5. September 2019

Aus dem Nähkästchen


Ihr seht doch alle gleich aus!


Es ist Samstag, früher Nachmittag. In der Stadthalle findet ein eintägiges Festival statt. Die Running Order zwingt mich dazu, früh dort zu sein. Wird ein langer Tag. Aber das hat auch einen Vorteil. Ich habe in Ruhe Zeit, mir gemütlich am Merchandise Stand ein T Shirt zu kaufen. Bevor die Massen kommen. Bevor die Stimmung der in einer Filiale eines irischen Modegeschäfts gleicht.
Vor mir ist nur ein Kunde dran. Er sucht sich ein Shirt aus, zahlt. Die Dame hinter dem Tresen dreht sich kurz um, zählt das Wechselgeld aus der Kasse. Der Kerl vor mir macht höflich einen Schritt zur Seite, sodass ich schon einmal einen Blick auf die Auslage werfen kann. Inzwischen ist die Verkäuferin zurück, drückt mir 35 Euro in die Hand und ruft „Nächster!“ Ich muss kurz lachen. „Der steht schon da. Und die 35 Euro gehören dem Jungen Mann da drüben“ Ich zeige auf meinen Vorgänger, der gerade mit leuchtenden Augen seinen Neuerwerb begutachtet. „Ach Scheiße, ihr seht doch alle gleich aus!“. Sie gibt dem rechtmäßigen Besitzer das Geld und bedient mich danach höflich distanziert. Kurz darauf hat sich meine T Shirt Sammlung erweitert.
Einige Stunden später. Das Festival ist bis dahin gut gelaufen. Viel Musik, viel Haare schütteln, viel Bier. Wenig Pause. Eine Mitelalter Rock Band steht gerade auf der Bühne und gibt mir somit die Zeit, endlich durchzuatmen und etwas essbares zu jagen. In einem etwas ruhigeren Bereich der Halle ist eine kleine Fressmeile mit Bierbänken aufgebaut. Bald sitze ich zufrieden mit Kaffee und Bier am Tisch und genieße die Ruhe.

„Ist bei dir noch frei?“ Ich schaue hoch. Vor mir steht die Verkäuferin von vorher. Ich nicke, und sie setzt sich mir gegenüber. „Ich wollte mich noch entschuldigen. Es ist mein erstes mal auf so einer großen Veranstaltung. Ich war einfach etwas überfordert“ beginnt sie das Gespräch, nachdem eine Portion Linsen mit Spätzle in Rekordzeit in ihr verschwunden ist.
Ich mache ein überraschtes Gesicht. „Vorher? Achja, entschuldige, ich hab dich erst nicht erkannt. Ihr seht alle gleich aus.“ Sie schaut mich böse an. Ich grinse zurück. Ihr Todesstrahl weicht einem süßen kichern. „Das hab ich vielleicht verdient. Aber hey, lange Haare. Schwarzes Shirt. Bier in der Hand.“ Sie schaut sich um. „Überall sonst wäre das eine treffende Personenbeschreibung. Hier funktioniert das halt gar nicht. Unglaublich, wie viel auf einen Haufen hier sind.“ Ich schaue sie fragend an. „Na ich dachte immer, Heavy Metal sei Krachmusik für ein paar einzelne Menschen die mit sich und der Welt nicht klarkommen. Die sich lieber mit Ihren Schuhen unterhalten als mit einer Frau. Mir war nicht bewusst wie viele es sind.“ Ich lache laut auf. „Und sicher dachtest du, dass wir alle Nachts auf Friedhöfen Katzen opfern und Jungfrauen schänden?“frage ich zwinkernd. „Zumindest ist es dass, was meine Mutter mir erzählt hat. Egal was ich mache, ich soll mich auf jeden Fall von euch langhaarigen Satanisten fernhalten. Ihr könntet ein unschuldiges Mädchen wie mich verderben. Wenn du Ihr in dem Outfit über den Weg läuft, springt sie vor Schreck wahrscheinlich in den nächsten Busch. Und wird dann den Dorfpfarrer rufen, um den Dämonen in dir zu vertreiben. Sie hat da eine etwas altmodische Sichtweise. Dabei gibt es bei uns im Dorf keinen einzigen. Den ersten dieser bösen Jungs habe ich auf dem Gymnasium kennengelernt. Und der war eher verwirrt als böse.“ sie lächelt mir verschmitzt zu. „Das ist ein Grund dafür, dass ich den Job heute Abend angenommen habe. Ich wollte mir mal anschauen, wie das wirklich bei euch aussieht. So eine Art Zoo Besuch.“ Inzwischen komme ich aus dem Grinsen nicht mehr raus. „ Das muss ja eine recht idyllische Gegend sein, aus der du kommst.“ „Hotzenwald“ „Oh.“
„Ja, oh. Alles idyllisch. Friedlich. Und langweilig. Deshalb bin ich auch nach dem Abi gleich hierher zum studieren gekommen.“ „Das kann ich verstehen. So ein schräges Dorf wie deines, dass muss die Hölle auf Erden sein. Würde ich mir gerne mal anschauen.“
Sie strahlt. „Ich habe gehofft das du das sagst!“ Ich scheine in eine Falle getreten zu sein. „Ach?“
„Ja weist du, in zwei Wochen ist die Geburtstagsfeier meiner Mutter. Und ich habe eigentlich gar keine Lust drauf. Immer die gleichen verknöcherten Leute. Immer der gleiche Ablauf.“ Ich ahne schlimmes. „Aber mit einem dieser bösen bösen Asozialen als dein Begleiter bringst du diesen Routine gehörig durcheinander?“frage ich. „Schlauer Junge. Genau das.“ „Du willst mich als deinen Freund vorstellen, nur um deine Mutter zu ärgern?“ Sie nickt. 
„Das ist komplett albern, unreif und bescheuert!“ „Also bist du dabei?“ „Auf jeden Fall.“ Ihr schelmisches Grinsen huscht wieder über Ihr Gesicht. „Perfekt.“ 
Sie steht auf, packt ihr Zeug und kommt zu mir herüber. „Ich muss wieder weitermachen. Ruf die nächsten Tage einfach an. Wird bestimmt lustig.“ Sie haucht mir einen Kuss auf die Backe und verschwindet mit leichtem Schritt in der Menge. Ich schaue ihr hinterher, beobachte wie ihr Pferdeschwanz im Rhythmus ihrer Schritte wackelt. Mein Gesichtsausdruck in diesem Moment muss dem eines debilen Idioten nahe kommen. Dann schaue ich auf den Tisch. Dort liegt ein Zettel mit einer Telefonnummer und einem kleinen, handgemalten Herzchen. Das versprach, interessant zu werden.

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