Saltatio Mortis
Erwachen
„Die gibt es noch?“. Das war mein erster Gedanke, als ich letztens den Namen „Saltatio Mortis“ bei den aktuellen Neuerscheinungen gesehen habe. Der Zweite war: „Mensch, das ist eigentlich eine gute Idee. Da muss ich mal wieder reinhören.“ Immerhin war Mittelalter Rock lange Jahre über ein ständiger Begleiter von mir. Als ich bewusst angefangen habe, Musik zu hören, hatten In Extremo gerade mit „Vollmond“ ihren ersten kleinen Hit, der es bis in die Heavy Rotation bei Viva und Co. - Musikfernsehen, ihr erinnert euch – geschafft hat.
Damals hatte ich gerade Heavy Metal für mich entdeckt, und war dementsprechend regelmäßig bei der „Heavy Night“ in der örtlichen Diskothek. Es war eine dieser kleinen, gemütlichen – oder versifften, je nach Sichtweise und Lichtverhältnissen – Dorfdiskotheken, wie sie wohl fast jeder von uns kennt. „Heavy Night“ hieß, das abwechselnd Manowar, Maiden und Motörhead lief. Dazu kam, das man zu den Metalern auch noch die Punks und die Gothics gesteckt hat. Jede Gruppe für sich hätte den Laden wohl nicht gefüllt. Auserdem: sind ja eh alle Dunkel und sehen gleich aus. Das wird dann schon passen.
Nach jedem Metalset lief Gothic, dann Punk, dann Metal. Alles sehr präzise getimt. Nach einer Weile konnte man an den Songs erkennen, wann der Wechsel bevorsteht. Und sich schon einmal langsam auf den Weg zum Bier holen oder frische Luft schnappen machen. Mittelalter Rock lief grundsätzlich immer zwischen Metal und Gothic. Neben In Ex hauptsächlich Tanzwut, Subway und dann, etwas später, eben -Saltatio Mortis.
Mir hat das immer ganz gut gefallen, und eine Zeitlang hab fast nichts anderes gehört. Dementsprechend lassen sich viele dieser Bands in meiner Sammlung finden. Eben auch vier Alben von „Saltatio Mortis“. Wirklich durch gehört habe ich die schon ewig nicht mehr. Einzelne Songs laufen immer wieder mal in der Zufallswiedergabe, aber das wars dann auch.
Also hab ich mir neulich ein bisschen Zeit genommen und Alle in Ruhe mal durch gehört. Beziehungsweise es versucht. Immerhin weiß ich jetzt, warum ich die so lange nicht mehr angehört habe. Einzelne Lieder sind ok und machen durchaus Spaß, aber so nach zweien, dreien am Stück wird es schwierig. Ein ganzes Album ohne Skiptaste und Ohrenbluten? Kaum möglich. Standard Rock Riffs, ein paar eingängige Dudelsackmelodien und Texte wie aus dem Poesie Album für Grufties. Vor 15 Jahren: super. Jetzt? Naja, arg viel mehr als Nostalgie wird da nicht mehr ausgelöst. Immerhin, sobald Saltatio ihre politischen Sachen auspacken, wird das ganze richtig griffig, giftig und gut. Aber sonst, nun ja. Die Begeisterung ist abgekühlt.
Umso erstaunlicher ist es, dass ein Album den Test der Zeit überstanden hat. „Erwachen“. Ausgerechnet. Ich beschwere mich hier über Kitsch, platte Texte und austauschbare Melodien? Auf Saltatio Mortis zweitem Rock Album findet sich das Alles. Nahezu in Perfektion. Paradoxerweise macht mir das gerade richtig Laune. Ob trotzdem oder genau deswegen, das weiß ich nicht. Während „Des Königs Henker“ und „Aus der Asche“ - beide musikalisch und textlich deutlich reifer - wieder in der Versenkung verschwunden sind, dudelt „Erwachen“ seit Tagen regelmäßig durch meine Boxen. Neben E Gitarren und Mittelalter Instrumenten werden hier noch haufenweise elektronische Spielereien verwendet. Das klingt teilweise richtig übel, als ob jemand wahllos auf ein Kinderkeyboard eingeprügelt hat. Es fiepst und düdelt stellenweise richtig fieß. Das kriegt ein Atari nicht besser hin. Also schlimmer.
Aber irgendwie macht es die Songs nicht kaputt. Im Gegenteil. Saltatio wurden mit den späteren Alben zwar deutlich härter und eingängiger, aber eben auch austauschbarer. „Erwachen“ dagegen hat seinen ganz eigenen Charme. Absoluter Kitsch. Keine Frage. Textlich durchaus eher Schlager als Rock. Das Album bettelt gerade zu darum, verrissen zu werden. Aber: ich kann es nicht. Stattdessen spring ich singend und tanzend mit guter Laune durch den Raum.
Paradox.
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