Freitag, 26. Februar 2021

Aus dem Nähkästchen

 

Alltag ohne Alltag


Ich habe es bereits erwähnt: letztens wurde das Heidelberger Deathfest zum zweiten mal verschoben. Zunächst von 2020 auf 21, nun ist März 22 angepeilt. Das heißt, wieder ein Jahr warten. Das heißt aber auch: das ganze Chaos geht jetzt schon über ein Jahr. Unglaublich, wie schnell die Zeit vorbei geht. Ein Jahr weitestgehend ohne Kunst und Kultur. Ein Jahr mit immer wieder neuen Verordnungen, Anweisungen und Verboten. Ein Jahr, dass unseren Alltag komplett umgekrempelt hat. Die Absage war für mich ein Grund, diese Zeitspanne mal ein bisschen für mich abzuklopfen und Revue passieren zu lassen.

Vorneweg: es geht hier nicht darum, ob das Virus existiert oder nicht. Nicht um die Schäden der Maßnahmen. Und nicht darum, ob diese gerechtfertigt sind. Hier geht es nur darum, wie Covid meinen Alltag berührt hat.

Am Anfang war ich mir ziemlich sicher: dass geht schnell vorbei. Im Sommer gab es dann auch ein bisschen Normalität, was mich auf ein Leben nach Covid hoffen hat lassen. Inzwischen glaube ich eher, dass es ein Leben mit Corona wird. Wieder mehr Freiheiten als jetzt, aber ich vermute, wir werden unser Verhalten auch mit Impfung anpassen müssen. Normaler: ja. Ganz Normal? Das muss man abwarten.

Rückblickend gesehen mögen einige Entscheidungen zur Eindämmung zu hart gewesen sein. Andere zu lasch. Und es gab viel zu viel hin und her. Wie gesagt: Rückblickend. Trotz Schlingerkurs und Aktionismus von Seiten der Regierung, der Zeitweise Planlosigkeit vermuten lässt: ich bin mit den Maßnahmen zufrieden.

Dennoch, ein Jahr ohne Konzerte, mit massiv eingeschränkten sozialen Kontakten und generell den angenehmen Ablenkungen, die Kunst und Kultur uns liefern, ist ein Massiver Eingriff in meine bisherige Lebensart.

Beruflich hatte ich keine Einschnitte, da ging es mir besser als vielen anderen. Kein Homeoffice, keine Kinder, die daheim betreut werden mussten. Richtig hart hat es die getroffen, die Beides managen mussten. Das war sicher schwieriger, als ich es mir vorstellen kann.

Korrespondieren gut: Doom und Modellbau

Meine Freizeit musste ich dennoch neu Gestalten. Anfangs auch gar kein Problem. Ohne die Ablenkungen wie Konzerte oder Feierabend Bier in der Kneipe hatte ich endlich mal Zeit, die Projekte, welche schon lange darum flehten, endlich gemacht zu werden, anzugehen. Sinnvolles wie Schränke aufhängen und Küche streichen. Weniger Sinnvolles wie Modelle unterschiedlichster Hersteller und unterschiedlichen Bauarten zu basteln. Erkenntnis: für den klassischen Schreiberbogen habe ich zu dicke Finger. Schneiden, akkurat Falten und präzise kleben: klingt einfacher als es ist. Raumschiffe aus Noppensteinen, wie sie zum Beispiel in Dänemark hergestellt werden, zusammenstecken? Deutlich einfacher. Hat etwas meditatives. Aber herausfordernd ist dass nur bedingt, auch wenn dass „Sproing“ Geräusch, mit dem sich bei zu viel Spannung einzelne Teile verabschieden, irgendwann nervt. Inzwischen bin ich bei Metallmodellen zum zusammenstecken hängen geblieben. Schön detailreich, recht filigran und dadurch durchaus knifflig. Aber komplett ohne kleben. Das heist, dass die Teile nach dem fixieren dort bleiben, wo sie sollen. Und sich keinen anderen Platz auf dem Modell suchen. Oder in den Fingern kleben bleiben.Für mich ist das genau die richtige Mischung aus entspannen und ein bisschen gefordert werden. Aber auch diese Dinger musste ich zeitweise beiseite stellen. Sonst wäre zum Beispiel Kirks große Liebe unrühmlich an meiner Wand zerschellt. Ein Ende, dass die NCC 1701 nicht verdient.

Neben basteln habe ich wieder mehr geschrieben. Gut, schreiben ist eh mein Hobby, aber ich meine auch gar nicht das tippen am PC. Vielmehr habe ich mir vor einiger Zeit ein Stahlfeder Set mit Tinte gekauft. Fest davon überzeugt, meine Rohentwürfe nur noch klassisch von Hand zu machen. Nun ja, immerhin schaffe ich es inzwischen, mehr oder weniger regelmäßig von Hand ein Tagebuch zu führen. Mit Stift oder Feder so zu schreiben, dass es auch andere es ohne Hieroglyphen Kenntnisse lesen können, ist eine durchaus anspruchsvolle Herausforderung.

Schreiben und basteln haben noch einen Vorteil: ich habe letztes Jahr deutlich mehr Alben am Stück durch gehört, als sonst. Und nebenher die etwas langsamere, Dampfwalzenartige Spielart für mich entdeckt.

Um nicht als Kellerkind zu Enden, war ich viel draußen unterwegs. Gut, auch dass ist nicht komplett neu, ich wandere schon lange gerne und viel. Jetzt halt einfach mehr. Und mehr vor der eigenen Haustüre.

Also, alles nicht so schlimm? Nein. Zu einem gehen mir die Projekte aus, für die ich keinen Baumarkt brauche. Und zum Anderen ist die Situation definitiv zermürbend. Neben den ganze aktiven Abenden gab es genug, an denen ich sinnlos vor dem Bildschirm gesessen habe, sinnlose Casual Games gespielt habe – furchtbare Zeitfresser – oder mich vom Youtube Algorithmus durch die Untiefen der Nichtigkeiten hab führen lassen. Der Versuch, mir ohne Vhs Kurs meine französisch Kenntnisse zu vertiefen, ist in sporadischem Aktionismus, der mehr aus schlechtem Gewissen als aus Wissensdurst entsteht, geendet.

Mal gemütlich essen gehen. Ein Besuch im Museum. Spontan Bekannte treffen. Eine Familienfeier. All das schien mir vor Covid ganz normal. Noch nicht mal als etwas besonderes. Das dürfte für mich persönlich jedoch die Absolute Quintessenz aus diesem Jahr sein: Gerade das, was wir als selbstverständlich wahrnehmen, ist es, was das Leben so schön Bunt macht. Manchmal stimmen alte Spruchweisheiten einfach: Man weiß erst, was man hatte, wenn man es verloren hat.

Kleiner Hinweis zum Schluss: einige sind der Meinung, dass das Produktphoto aus diesem Beitrag eine Kaufempfehlung macht. Deshalb: Achtung, Werbung.


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