Donnerstag, 9. September 2021

Bücherkiste

 

Morthon Rhue

Die Welle


„Wie konnten die Leute das nur zulassen?“. Diese Frage lässt den Lehrer Ben Ross nicht in Ruhe. Gestellt hatte sie einer seiner Schüler, nachdem sie im Geschichtsunterricht einen Film über den Holocaust geschaut haben. Betroffenheit, Unverständnis und die Überzeugung, dass so etwas hier und heute nicht passieren kann, waren die Reaktionen seiner Schüler. Und die Frage nach dem Warum. Ross muss feststellen, dass er diese nicht einfach so beantworten kann. Und entschließt sich stattdessen dazu, ein Experiment mit seiner Klasse durchzuführen. Das recht schnell eine unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt.

„Die Welle“ von Morthon Rhue erschien 1981 und gehört zu den wenigen Schullektüre Büchern, die ich damals freiwillig, ohne Lehrplanzwang, gelesen habe. Die Geschichte über den Geschichtslehrer, der versucht seinen Schülern die Funktionsweisen des Faschismus zu erklären, ist knapp und trocken geschrieben. Dass, und die Tatsache, dass es lose auf einer wahren Begebenheit basiert, macht es zu einem der brutalsten und eindringlichsten Bücher, die ich je gelesen habe.

Zu beobachten, wie das langsame Einführen von Disziplin und Verhaltensregeln und dass schaffen einer gemeinsamen Identität erst Harmlos anfängt, dann aber immer schneller voranschreitet und dem Lehrer schließlich völlig entgleitet ist hochspannend. Lässt einen aber auch nachdenklich zurück. Denn die Frage „Wie konnte dass passieren?“ wird aus meiner Sicht nicht beantwortet. Kann sie auch gar nicht, bei so einer Katastrophe ist das „Warum“ deutlich zu komplex für eine einfache Antwort. Stattdessen wird hier recht deutlich, wie einfach und effektiv die Grundstrukturen faschistischer Bewegungen funktionieren. Aus dem Experiment des Lehrers entwickelt sich rasch eine eigenständige Bewegung. Ohne, dass er sie überhaupt mit Inhalten gefüllt hat. Stadtessen scheint der Drang des Menschen nach Ordnung, Disziplin und Zusammengehörigkeit auszureichen, um eine Bewegung zu erschaffen. Beängstigend. Und einfach Zeitlos. Faschismus und autoritäre Regime sind ja keine Geister der Vergangenheit. Zu Glauben, dass nur der primitive Mensch der 1930er Jahre auf so etwas reinfallen konnte, ist töricht. Die Überzeugung, dass das so nicht mehr passieren kann, weil wir den Faschismus durchschaut haben und wir einfach aufgeklärter, klüger und besser als die Menschen damals sind, ist vielleicht sogar schon der erste Schritt in Richtung Abgrund. Man werfe nur mal einen Blick auf die vielen Bewegungen aus dem Querdenker und Reichsbürger Spektrum an.

Man selber ist natürlich auch nicht sicher davor. Der Grundwunsch, irgendwo dazu zu gehören, ist groß bei uns. Eine Behauptung, die ich einfach mal so aufstelle. Ohne Psychologiestudium. Grundsätzlich halte ich dass auch für etwas Gutes. Eine Gruppendynamik kann durchaus ein positives Erlebnis sein. Festivals sind da ein Beispiel dafür. Oder das stehen im Fanblock. Egal wer man ist, woher man kommt, wie man aussieht: man gehört dazu. Bedenklich, wie schnell das in etwas Negatives umschlagen kann. Ja, das Buch ist aus den 1980ern. Nein, es ist nicht veraltet. Sondern genauso aktuell wie vor 40 Jahren. Leider.

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