Freitag. Endlich
Freitag. Nicht irgendein Freitag. Der Freitag. Ich stehe im
Plattenladen vor dem Regal mit der Aufschrift „Neuerscheinungen.“
Auf diesen Freitag freue ich mich schon seit Wochen. Nach vier Jahren
langen Wartens erscheint heute das neue Album einer meiner
Lieblingsbands. Ich bin jedem Vorbericht, jedem im Internet hörbaren
Snipet und der Vorabsingle gekonnt ausgewichen. Ich will ohne
Voreindrücke an die Sache heran gehen. Diese Band ist immer einen
Blindkauf wert. Außerdem waren die letzten Alben bärenstark. Das
weckt natürlich eine gewisse Erwartungshaltung. Ich erwarte nicht
weniger als so etwas wie die musikalische Quadratur des Kreises.
Folgerichtig bin ich gleich am Veröffentlichungstermin im Laden,
schnappe mir die CD. Zahlen, und dann sofort nach Hause. Ich schließe
die Türe ab und ziehe den Telefonstecker. Das WLAN schalte ich ab.
Ganz frei nach Farin Urlaub: dieser Tonträger und ich sind ab sofort
alleine zu Hause.
Knappe fünfzig
Minuten später. Katerstimmung. Die anfängliche Euphorie hat recht
schnell die Koffer gepackt. Dafür sind Frust und Langeweile
eingezogen. Nur eine Mischung aus Hoffnung und Sturheit hat mich
davon abgehalten, die CD in hohem Bogen aus der Anlage zu werfen. Das
Album ist Mist. Aufgeblasen. Über produziert. Eine Riff Reste Rampe
vergangener Alben. Früher waren die besser. Enttäuscht drehe ich
die CD Hülle in meiner Hand. Naja, wenigstens ist das Cover hübsch.
Ein großer Haufen Scheiße zwar, aber immerhin hat es ein goldenes
Krönchen auf. Ich lege die CD zurück in die Hülle und sortiere sie
in das Regal ein.
Ein Blick auf die
Uhr sagt mir, dass es langsam an der Zeit ist, los zu gehen. Denn
Freitag bedeutet nicht nur, dass die Neuerscheinungen der Musikwelt
in den Regalen stehen. Freitag heißt auch Heavy Metal Abend im Club
um die Ecke. Also auf ins Bad kurz frisch machen, unterwegs Bier
schnappen und los. Das schöne Spätsommer Wetter und die Vorfreude
auf den Abend verbessern recht schnell meine Laune. Seltsam nur dass
der Refrain des ersten Songs von meinem verhassten Neuerwerb in
meinem Kopf vor sich hin düdelt. Und zwar immer und immer wieder.
Etwas später sitze
ich auf meinem Stammplatz am Tresen. Von hier aus kann man den
gesamten Barbereich und die Tanzfläche überblicken. Hier ist die
Musik laut genug, um auch mal zu zuhören. Und leise genug um sich zu
unterhalten zu können ohne dass man sich gegenseitig anschreien
muss. Nach und nach trudeln die ganzen bekannten Gesichter ein. Man
begrüßt sich, trinkt Bier, quatscht und hört Musik. Schließlich
ist es soweit. Der DJ spielt die Single der CD, welche ich mir heute
gekauft habe. Die Tanzfläche ist sofort gerammelt voll. Der Mob
tobt, Abrissstimmung.
Ein Kumpel von mir
sitzt neben mir. Auch er beobachtet die Meute eine Weile. Dann
schnaubt er verächtlich und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem
Bierglas. Das Whisky Cola Gemisch fließt schnell in seine Kehle.
„Kommerz Scheiße ist das. Früher waren die viel besser. Roher.
Nicht so eine glatt gebügelte Hausfrauenkacke.“ Nickend stimme ich
ihm zu. Mein Füße wippen unter dem Tresen verräterisch im Takt der
Musik.
Am nächsten Morgen
weckt mich die Mittagssonne. Ich stehe auf und schlurfe in die Küche.
Erstmal einen Kaffee. Während ich die Kanne fülle und auf den Herd
stelle, spielt die große Jukebox im Gehirn wieder den Refrain des
ersten Songs. Und wieder. Und wieder. Ich warte bis die Kanne
zufrieden vor sich hin gluckert, fülle meine Tasse mit dem frischen
Kaffee und gehe in das Wohnzimmer. Vielleicht klappt es ja mit
Katharsis, und der Ohrwurm verschwindet nach direkter Beschallung mit
dem gleichen Lied. Ich lege die CD ein, mache es mir auf meinem
Schaukelstuhl gemütlich und drücke play. Der erste Song schallt
durch den Raum. Wuchtig, griffig, gut. Und erst der Refrain. Einfach
schön. Das ist mir beim ersten hören gestern so nicht aufgefallen.
Nun, dann kann ich dem Rest auch noch einmal eine Chance geben.
Etwas später. Ich
greife nach meinem Kaffee. Er ist kalt. Und aus der Box verklingen
gerade die letzten Töne des Schlusssongs. Tja, da habe ich mich
etwas treiben lassen. Offensichtlich ist das Teil doch nicht
annähernd so mies, wie ich nach dem ersten Hören dachte.
Zwei Wochen später.
Die CD ist inzwischen Dauergast in meiner Anlage. Das Ding ist mit
jedem Durchlauf einfach gewachsen. Die alten Stärken der Band sind
immer mehr in den Vordergrund getreten, einige neue Ideen haben
gezündet. Dadurch wirken die neuen Schwächen nicht mehr annähernd
so schlimm. Und erst das Coverartwork. Und das liebevoll gestaltete
Booklet. Passt beides herrlich zur Atmosphäre der Musik. Kurzum, die
Scheibe ist ein gelungenes, rundes Gesamtkunstwerk. Früher waren die
besser? Vielleicht. Aber so viel schlechter sind sie heute auch
nicht. Und es kann ja nicht immer Liebe auf den ersten Blick sein.
Weiterlesen: Aus dem Nähkästchen: Mehr Bierbrüste
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