Donnerstag, 2. November 2017

Aus dem Nähkästchen


Gespräch zu früher  Stunde

 


Ich stolpere aus meinem Zimmer. Die WG Party gestern war ein voller Erfolg. Nach ein paar Stunden Schlaf melden sich meine Körperfunktionen wieder und ich muss dringend eine Keramik aufsuchen. Die Party ist inzwischen fast vorbei. Außer ein paar vereinzelten Grüpchen und einzelnen Bierleichen hat sich das Wohnzimmer geleert. Draußen zwitschern schon die ersten Vögel. Oder irgendwelche Vögel, die Sonne steht schon ziemlich hoch. Ich schaue auf die Uhr. 10 Uhr Morgens.

Morgenstimmung ohne Kater
Der Weg zum Bad ist mit Flaschen und leeren Bechern gepflastert. Wie ein Storch bewege ich mich langsam durch den Flur. Ich muss unbedingt mit dem Aufräumen anfangen. Zumindest die Laufwege. Zu früher Stunde und mit schwerem Kopf ist der Flur ein gefährlicher Hindernisparcours.
Deshalb führt mich mein Weg nach dem Stopp im Bad erst mal in die Küche. Müllbeutel besorgen. Am Kühlschrank halte ich an. Was wollte ich in der Küche? Stimmt ja, ein Bier.
Mit einem mich glücklich machenden „Plopp“ öffnet sich die Flasche. Ich setze mich ins Wohnzimmer. Dort unterhält sich mein Mitbewohner angeregt mit dem Ausschnitt einer jungen Dame. Ich kenne sie nicht, aber ganz offensichtlich gehört sie nicht zu der Sorte Mensch, die öfter - oder freiwillig - mit langhaarigen Bombenlegern rum hängt.
Scheinbar hat sie den tödlichen Satz: „Für mich klingt das alles gleich.“ gebracht. Typischer Anfänger Fehler. Was folgte ist ein endloser Monolog über die Entwicklung und inhaltlichen sowie musikalischen Unterschieden in den verschiedenen Subgenres. Voll gespickt mit begriffen aus dem Brockhaus für Musiker.
Als ich mich zu ihnen setze, versucht er gerade, ihr den Unterschied zwischen Death und Black Metal zu erklären. Ihr Gesicht spiegelt eine Mischung aus Verwirrung und Langeweile wieder. Würde er etwas weiter nach oben schauen, würde er feststellen, dass die Frau händeringend einen Fluchtplan schmiedet.
Kurz entschlossen springe ich ein. „Also grundsätzlich sind sowohl Black als auch Death Metal in Musik gegossener purer Hass mit allen seinen einzelnen Facetten wie Aggression, Gewalt, Wut, Ohnmacht. Dabei ist Death Metal eher der Hass auf andere und die Welt. Krieg, Tod, Gewalt, Zombies. Perfekte Themen für eine Death Metal Band“
„Aha. Und warum hört man sich so etwas an?“
„Katharsis. Wenn alles Scheiße ist. Aufdrehen. Ausrasten. Death Metal knüppelt alle Probleme herrlich klein. Danach geht es einem viel besser.“
Sie sagt nichts. Aber ihr Blick verrät, dass sie an meinem Verstand zweifelt. Soll mir recht sein. Ich fahre fort. „Black Metal ist auch Haß. Aber eher der subtile. Der Hass auf sich selbst. Dieser Klumpen, der Tief in uns liegt und nur aus negativen Gefühlen besteht. Der mit jedem Tag, mit jeder Scheiße die wir erleben, wächst und vor sich hin gärt So wie sich das anfühlt, diese Mischung aus Hass und Hilflosigkeit, so klingt Black Metal. Schwer, langsam, alles zermürbend. Es wächst und schwillt an, bis es schließlich aus uns heraus bricht“ Ich rede mich in Rage. Erzähle Ihr über die Abgründe der menschlichen Seele und warum es in Musik ausgedrückt so gut ist.
Sie trinkt den letzten Schluck ihres Bieres. „Ok Jungs, mir reicht es.“ Sie schaut meinen Mitbewohner an. „Ich hab zwar keinen Ton von dem, was du gesagt hast, verstanden. Aber ich fand dich süß. Etwas seltsam und schräg, aber süß. Hab mir überlegt, ob ich dich nach deinem Vortrag in dein Zimmer schubsen soll. Bisschen Frühsport. Aber der da.“ sie zeigt auf mich, „ der ist ein Eins A Stimmungskiller. Totaler Freak. Ich finde dich echt schräg. Metaler haben wohl echt alle einen an der Waffel.“ Sie lässt noch ein paar Bemerkungen über mich ab, die von Fäkal Worten und Primaten vergleichen begleitet werden. Dabei sammelt sie ihre Sachen zusammen und verschwindet schließlich aus der Tür.
Mein Mitbewohner schaut mich fassungslos an. „Ich glaub es einfach nicht. Du kannst doch nicht einfach so die Monika vertreiben. Alter, ich hab sie fast geknackt!“ Ich angle ein noch geschlossenes Bier hinter der Couch vor und drücke es ihm in die Hand. „Tut mir leid. Aber überlege doch mal was für Musik ihr beim Matrazensport gehört hättet. Bieber?“ Er öffnet das Bier und schaudert dabei. „Bloß nicht. Ich vertrage keine brutale Musik so früh am Morgen.“ 

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