Donnerstag, 23. August 2018

Aus dem Nähkästchen


Euphorie


Es gibt kaum etwas Schlimmeres als Menschen, die gerade eben von etwas Neuem begeistert wurden. Wochenlang hört man von ihnen dann nur noch Sätze wie: „Das musst du dir mal anschauen!“, „So etwas habe ich noch nie erlebt!“, „Das beste was ich jemals überhaupt gesehen habe!“. Diesen folgen dann meistens stundenlange Monologe über die Vorzüge des neu Entdeckten.
Die schließlich mit dem – natürlich dezent geäußerten – Vorschlag, sich davon selber mal zu überzeugen, enden.
Bei Musik erlebe ich so etwas immer wieder. Wenn Leute von etwas emotional berührt werden, dann scheint Zurückhaltung gegenüber anderen nicht mehr zu existieren. Die ganze Welt soll wohl davon erfahren.
Zum Glück bin ich da selbst besser. Wenn ich neue Musik entdecke oder mich etwas total begeistert, dann lasse ich meine Umwelt davon natürlich wissen. Aber diskret, rücksichtsvoll und dezent. Jemanden etwas aufdrängen wollen oder ihn damit nerven? Das würde ich nie tun.

Dachte ich zumindest lange Zeit. Fakt ist aber, dass auch ich mich immer wieder von Begeisterung mitreißen lasse. Gerade bei Musik passiert das immer wieder. Meine Umgebung wird dann tagelang damit beschallt. Und ich reagiere mit totalem Unverständnis, wenn jemand nicht sofort genauso begeistert davon ist wie ich. Die anderen scheinen einfach keine Ahnung von Musik zu haben. Zum Glück haben sie ja mich dafür. Tja, Euphorie ist nun einmal so eine Sache. Die Begeisterung macht einen für viele andere Dinge blind. Zum Beispiel wie schnell man anderen Menschen damit auf den Sack geht. Oder dass man gerade eben genau das Verhalten an den Tag legt, das einen bei anderen stört.
Und was, wenn die anfängliche Begeisterung mal vorbei ist? Dann bleibt oft wenig übrig. Die Musik ist tot gehört, und nach und nach entdeckt man, warum andere Menschen sich eben nicht haben mitreißen lassen. Kleine Schönheitsfehler, welche man anfangs nicht wahrgenommen oder kunstvoll weg ignoriert hat, wachsen zu hässlichen Monstern ungeahnter Größe heran.
Ein bisschen ist es so, wie wenn in einer zwischenmenschlichen Beziehung das verknallt sein so langsam nach lässt. Sind die Hormone erst einmal wieder ruhig und das Gehirn wieder einigermaßen dienstauglich, so entdeckt man an seiner Flamme durchaus neue Seiten. Dumm ist es natürlich dann, wenn man diese gar nicht entdecken wollte. Außer einer hübschen Fassade ist dann nicht mehr viel übrig. So langsam dämmert einem, was die Kumpels einem sagen wollten. „Lass die Finger von ihr, die passt nicht!“, „Ob das mit euch gut geht?“, „Junge, die macht dich kaputt!“. Was einem vor kurzem noch wie zynische Äußerungen von Neidhammeln vorkam, erkennt man nun als gut gemeinte Ratschläge. Mit dem verschwinden der Hormone und der ersten Euphorie verschwindet oft dann auch die Beziehung. 

Manchmal jedoch passiert das genaue Gegenteil. Der Gegenüber entpuppt sich dann nicht nur als optisch leckerer Partner für lockere Abende, sondern auch noch als eine klasse Person, die auf der gleichen Wellenlänge liegt. Die Euphorie, angefacht durch die Hormone, geht einen Schritt nach hinten, und mit etwas Glück fängt dann eine Partnerschaft auf einer tieferen Ebene an.
Der Vergleich mag jetzt etwas hinken, aber mir geht das manchmal mit CDs so. Gekauft, gehört, vergöttert. Und keine zwei Wochen später im Regal verstauben lassen. Andere jedoch haben nichts von ihrem Reiz verloren. Im Gegenteil, die kleinen Macken, für die man Anfangs blind war, machen inzwischen den Reiz aus. Und so landen sie auch Jahre später noch regelmäßig im CD Player.

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