Euphorie
Es gibt kaum etwas
Schlimmeres als Menschen, die gerade eben von etwas Neuem begeistert
wurden. Wochenlang hört man von ihnen dann nur noch Sätze wie: „Das
musst du dir mal anschauen!“, „So etwas habe ich noch nie
erlebt!“, „Das beste was ich jemals überhaupt gesehen habe!“.
Diesen folgen dann meistens stundenlange Monologe über die Vorzüge
des neu Entdeckten.
Die schließlich mit
dem – natürlich dezent geäußerten – Vorschlag, sich davon
selber mal zu überzeugen, enden.
Bei Musik erlebe ich
so etwas immer wieder. Wenn Leute von etwas emotional berührt
werden, dann scheint Zurückhaltung gegenüber anderen nicht mehr zu
existieren. Die ganze Welt soll wohl davon erfahren.
Zum Glück bin ich
da selbst besser. Wenn ich neue Musik entdecke oder mich etwas total
begeistert, dann lasse ich meine Umwelt davon natürlich wissen. Aber
diskret, rücksichtsvoll und dezent. Jemanden etwas aufdrängen
wollen oder ihn damit nerven? Das würde ich nie tun.
Dachte ich zumindest
lange Zeit. Fakt ist aber, dass auch ich mich immer wieder von
Begeisterung mitreißen lasse. Gerade bei Musik passiert das immer
wieder. Meine Umgebung wird dann tagelang damit beschallt. Und ich
reagiere mit totalem Unverständnis, wenn jemand nicht sofort genauso
begeistert davon ist wie ich. Die anderen scheinen einfach keine
Ahnung von Musik zu haben. Zum Glück haben sie ja mich dafür. Tja,
Euphorie ist nun einmal so eine Sache. Die Begeisterung macht einen
für viele andere Dinge blind. Zum Beispiel wie schnell man anderen
Menschen damit auf den Sack geht. Oder dass man gerade eben genau das
Verhalten an den Tag legt, das einen bei anderen stört.
Und was, wenn die
anfängliche Begeisterung mal vorbei ist? Dann bleibt oft wenig
übrig. Die Musik ist tot gehört, und nach und nach entdeckt man,
warum andere Menschen sich eben nicht haben mitreißen lassen. Kleine
Schönheitsfehler, welche man anfangs nicht wahrgenommen oder
kunstvoll weg ignoriert hat, wachsen zu hässlichen Monstern
ungeahnter Größe heran.
Ein bisschen ist es
so, wie wenn in einer zwischenmenschlichen Beziehung das verknallt
sein so langsam nach lässt. Sind die Hormone erst einmal wieder
ruhig und das Gehirn wieder einigermaßen dienstauglich, so entdeckt
man an seiner Flamme durchaus neue Seiten. Dumm ist es natürlich
dann, wenn man diese gar nicht entdecken wollte. Außer einer
hübschen Fassade ist dann nicht mehr viel übrig. So langsam dämmert
einem, was die Kumpels einem sagen wollten. „Lass die Finger von
ihr, die passt nicht!“, „Ob das mit euch gut geht?“, „Junge,
die macht dich kaputt!“. Was einem vor kurzem noch wie zynische
Äußerungen von Neidhammeln vorkam, erkennt man nun als gut gemeinte
Ratschläge. Mit dem verschwinden der Hormone und der ersten Euphorie
verschwindet oft dann auch die Beziehung.
Manchmal jedoch
passiert das genaue Gegenteil. Der Gegenüber entpuppt sich dann
nicht nur als optisch leckerer Partner für lockere Abende, sondern
auch noch als eine klasse Person, die auf der gleichen Wellenlänge
liegt. Die Euphorie, angefacht durch die Hormone, geht einen Schritt
nach hinten, und mit etwas Glück fängt dann eine Partnerschaft auf
einer tieferen Ebene an.
Der Vergleich mag
jetzt etwas hinken, aber mir geht das manchmal mit CDs so. Gekauft,
gehört, vergöttert. Und keine zwei Wochen später im Regal
verstauben lassen. Andere jedoch haben nichts von ihrem Reiz
verloren. Im Gegenteil, die kleinen Macken, für die man Anfangs
blind war, machen inzwischen den Reiz aus. Und so landen sie auch
Jahre später noch regelmäßig im CD Player.
Weiterlesen: Aus dem Nähkästchen. Finnland
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