Spiegelbild
Aufmerksam betrachte
ich mein Gegenüber. Hochgewachsen, hager, mit langen, lockigen
Haaren und einem dichten Bart. Er trägt ein Blind Guardian Tshirt.
Darüber eine kurze Jeansweste. Diese ist über und über mit Patches
bestickt, alles ausnahmslos von bekannten und weniger bekannten Power
und Heavy Metal Bands.Priest. Maiden. Manowar. Helloween.
Stormwarrior. Und natürlich Blind Guardian. Die Kutte gleicht einer
Litfaßsäule.
Seine Arme
verschwinden komplett unter mit Nieten bestückten Lederbändern.
Kurzum, er ist bemüht, das authentische Bild eines truen achtziger
Jahre Metalers zu präsentieren. Dabei ist er vielleicht gerade mal
Anfang 20. Unter dem dichten Bart versteckt sich ein leicht
rundliches, rosiges Gesicht mit noch leicht kindlichen Zügen. Ihn
anzuschauen ist ein bisschen wie ein Blick in einen Spiegel zu
werfen. Einen Spiegel, der ungefähr 15 Jahre in die Vergangenheit
reicht.
Schwungvoll setzt er
seine Bierflasche ab. Es klimpert leise. Jetzt ist es an ihm, mich zu
betrachten.
Sein Blick sagt
eindeutig, was er von mir hält. Was will der Poser hier eigentlich?
Rein äußerlich
betrachtet bin ich heute das genaue Gegenteil von ihm. Keine
Lederjacke. Keine Kutte. Selbst das obligatorische Bandshirt habe ich
diesmal im Schrank gelassen. Stattdessen trage ich eine einfache
Jeans und ein rot weiß kariertes Hemd. Das hatte ich bei meiner
letzten Wandertour an, und da ich nicht komplett frische Sachen auf
dem Konzert anziehen wollte, war es meine erste Wahl. Ein ganz
leichter Hauch von Schweiß und Bier hängt noch daran. Somit passe
ich wenigstens vom Geruch her in sein Weltbild. Ansonsten ist mein
Outfitt so Heavy Metal wie die Herrenabteilung bei H&M.
Schließlich zuckt
er mit den Schultern und öffnet seine nächste Flasche. In einem Zug
verschwindet Bier Nummer zwei. Ein lauter Rülpser und ein
zufriedenes Grunzen folgen. Dann wendet er sich an mich. „Und,
wegen welcher Band bist du hier?“ „Dark Inner Void.“
„Aha. Black Metal?“ Ich nicke. „Mh, Black Metal, damit kann ich
gar nichts anfangen“ „Du magst deinen Metal wohl lieber
traditionell?“ frage ich ihn.
„Ja man. 80iger
Jahre halt. Fette Riffs. Starke Melodien. Metal. Punkt. Kein
Schnickschnack. Und eben richtiger Gesang. Nicht dieses komische
Geröchel und Gegrunze bei dem eh keiner was versteht.“ Er macht
sich an Bier Nummer drei. „Aber wie kommst du darauf?“
„Deine Augenfarbe
hat es mir verraten“ erwidere ich. Verständnislos starrt er mich
an. Ich deute auf seine Kutte. „Außerdem kann ich lesen“.
Verdutzt schaut er an sich herab. Dann bricht er in schallendes
Gelächter an. „Na, sie mal einer an. Hätte nicht gedacht, dass
ein Poser wie du etwas mit meiner Kutte anfangen kann. So schlimm,
wie du aussiehst, scheinst du ja gar nicht zu sein.“ Ein weiterer
Schluck Bier bringt eine kleine Pause. Dann setzt er seinen Monolog
fort. „Metal muss einfach traditionell gespielt werden. Das ist
noch ehrliche, handgemachte Musik. Direkt vom Herzen. Ehrlich. Das
ist einfach das Beste. Und keine so oberflächliche Kommerz-scheiße
wie sie im Radio und überall sonst läuft. Wie zum Beispiel dieser
Rap Kram. Hip Hop, pah! Dämliche Texte. Dämliche Musik. Dämliche
Klamotten. Die schaffen es nicht einmal, Hosen in ihrer Größe zu
tragen. Und ständig immer dieses Gelaber, wer der Größte von allen
ist. Wer den Größten hat. Und wie viele Mütter anderer Rapper
schon bei Ihnen im Bett lagen. Völliger Schwachsinn. Das hat doch
mit Kunst nichts zu tun. Das einzige Gute an der Musik sind die
hübschen Mädels in den Videos.“ Er stockt kurz. Ein sehnsüchtiges
Glitzern erscheint in seinen Augen. Dann schüttelt er ärgerlich den
Kopf.“Pah. Sind bestimmt eh alles billige Schlampen. Metal sage ich
dir. Metal ist das einzig Wahre. Gute Leute. Gute Musik. Und Texte
mit Tiefgang.“
Er setzt zum leeren seines dritten Bieres an. Ich
nicke verständnisvoll. „Ja. Ich weiß, was du meinst. Tiefgründige
Texte. Lyrische Großtaten sind das. Wie zum Beispiel Fire, Higher,
Desire. Oder Fire. Battle. Metal. Ich bin mir sicher, da wäre sogar
ein Goethe neidisch.“ In meiner Antwort schwingt mehr als nur ein
Hauch Ironie mit.
Zornig schaut er
mich an. „Klar, ein Poser wie du kannst das nicht verstehen.“ Er
sammelt seine leeren Flaschen ein. „Wir sehen uns“. Klimpernd
verschwindet er in Richtung Bar.
Kurz darauf kommt
meine Freundin an den Tisch. „Tut mir leid, hat etwas länger
gedauert. Hab mich fest gequatscht.“ Sie gibt mir einen Kuss auf
die Wange. „Ich hoffe, mein kleiner Cousin war nicht allzu
anstrengend. Als er gehört hat, das heute Gloryful Steel Hammer
spielen, wollte er unbedingt mitkommen. Leider kann er mit seinem
Geschwafel, das alles andere außer Metal nur Müll ist, echt
anstrengend sein.“
„So schlimm ist er
nicht.“ antworte ich.“Außerdem erinnert er mich an jemanden von
früher.“
„Du etwa? Na, zum
Glück habe ich dich erst jetzt kennengelernt.“ Dem kann ich nur
zustimmen.
Anmerkung: Die hier
genannten Bands sind reine Fantasieprojekte, willkürlich
zusammengewürfelt. Ich habe nicht überprüft, ob es Bands mit
solchen Namen gibt. Falls das so ist, ist das reiner Zufall und es
bestehen keinerlei Zusammenhänge.
Weiterlesen: Aus dem Nähkästchen. Wühltisch.
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