Donnerstag, 1. August 2019

Raus.Gehen.


West Highland Way


Aufräumen ist manchmal eine feine Sache. Dinge bekommen wieder Struktur. Man weiß was man hat. Und wo man es findet. Lang Vergessenes taucht auf. Gut, manchmal verschwinden auch Sachen, von denen man vor dem Aufräumen ganz genau wusste, wo sie zu finden sind. Aber unterm Strich ist es eine gute Sache. Sowohl analog, als auch digital.
Beim Daten sichern und auf Festplatten um schieben bin ich letztens über einen Ordner mit Photos aus dem Jahr 2006 gestolpert. Darin befanden sich ausschließlich Bilder von meinem Trip nach Schottland. Ein wunderbarer Fund, bis dahin hatte ich nämlich nur die mit meiner analogen Kamera geschossenen Bilder als Erinnerungsstücke. Das ich auch ein paar mit der damals ach so neuen tollen Digitalkamera gemacht hatte wusste ich zwar, wo der Datenklüngel inzwischen ist allerdings nicht mehr. Umso größer die Freude beim Wiederfinden.
Schottland war nämlich meine erste – und bisher leider einzige – ernst zunehmende Mehrtageswanderung.

Zivi war vorbei, etwas Neues schon in Sicht, aber bis dahin noch einige Wochen Zeit. Was also tun? Keine Ahnung warum, aber eines Tages blätterte ich halb Interessiert durch einen – damals schon recht veralteten – Schottland Reiseführer aus der Lonely Planet Reihe. Darin war ein kurzer Artikel über den „West Highland Way“. Einmal zu Fuß von einem Glasgower Vorort durch die Highlands nach Fort William. Wandern fand ich schon immer gut, und Schottland war ein so gutes Ziel wie jedes andere. Warum also nicht? Ich habe dann meine damalige Dame angerufen, um ihr zu sagen, das ich einige Tage nach Schottland will. Innerlich habe ich mich schon auf eine längere Diskussion eingestellt. Warum Schottland? Kalt, Nass, Bäh.
Tatsächlich war das Gespräch erstaunlich kurz. „Schottland? Wandern? Bin dabei.“ Kurz darauf waren die Hin und Rückflüge gebucht. In Knapp drei Wochen sollte es losgehen. Die erste sowie die letzte Übernachtung in Glasgow waren reserviert. Im Großen und Ganzen war das auch schon die ganze Vorbereitung. Jugendherbergsausweise, ein paar Pfundnoten, ein paar Kleinigkeiten für die Ausrüstung.
Wir wussten wo es los ging. Wir wussten wo wir ankommen sollten. Fertig.Was soll denn schon schief gehen?
Schon nach der ersten Etappe wurde uns klar, dass wir da etwas optimistisch waren. Eine Karte war der Erste kauf. Der Weg ist zwar an sich gut ausgeschildert, aber es wird manchmal etwas unübersichtlich. 

Zweites Problem: Unterkünfte. Der West Highland Way ist zwar sehr beliebt und
besitzt daher eine gute Infrastruktur, aber an manchen Etappen ist es etwas Eng mit dem Platz. Deshalb haben wir, nachdem wir die erste Nacht in einem teuren Hotel mangels Alternativen übernachtet haben, immer schon am Morgen uns einen Platz zum schlafen organisiert. Wer ein leichtes Zelt sein eigen nennt, sollte es definitiv mitnehmen. Wir wussten, dass es ein beliebter Wanderweg ist. Größtenteils merkt man davon nichts, sieht vielleicht mal ein oder zwei andere Menschen am Tag. Aber es gibt ein paar Ecken, da ballt es sich Richtig. Da fühlt man sich dann mehr wie in einer Fußgängerpassage einer Großstadt. Dort sind Unterkünfte besonders rar. Deshalb: plant etwas im Voraus. Das Ganze ist immerhin schon knappe 15 Jahre her. Und da das Wandern des Hipsters Lust ist, werden es wohl inzwischen kaum weniger Menschen sein.
Drittens: Meilen sind keine Kilometer. Das klingt erst einmal dämlich. Aber wenn man Meilen liest und in Kilometern denkt, kann es durchaus schwierig werden.
Eines Abends haben wir an einem idyllisch gelegenen Bunkhouse, eine Schutzhütte, direkt am Ufer des Loch Lomond, übernachtet. Es war das Ende unserer dritten Tagesetappe. Gegen späten Abend kamen zwei ältere Damen den Weg entlang. Zwischen ihnen stützten sie einen jungen Mann, der ganz offensichtlich komplett am Ende war. „Den haben wir beim spazieren gefunden.“ meinte eine der Damen in herrlich breitem Schottisch. „Habt ihr noch Platz?“ Den hatten wir tatsächlich noch, und so haben sie ihn bei uns abgeladen und sind fröhlich plappernd weiter Richtung nächstes Dorf marschiert. Als ob ihnen so etwas öfter passieren würde und es gar nicht nennenswert wäre. Wir haben unser Pflegekind mit etwas Wasser, Kaffee und Beeren wieder aufgepäppelt. Zunächst unterhielten wir uns in mäßig flüssigem Schulenglisch miteinander. Bis er auf Deutsch murmelte: „Mist, was heißt Blase auf Englisch?“. Ich schmunzelte und meinte: „Keine Ahnung.“ Das Gespräch verlief von da ab um einiges einfacher. Wir fanden raus, dass der Gute nach einem Blick auf die Karte die Etappen für lächerlich kurz gehalten hat. So ist er am frühen Morgen los, um drei dieser vermeintlichen Spazieretappen auf einmal zu machen. Tja, Meilen sind keine Kilometer. Das hat er schmerzlich raus finden müssen. Und während wir uns am nächsten Tag auf zum nächsten Abschnitt gemacht haben, ist er noch geblieben um zu Kräften zu kommen. Gesehen haben wir ihn nicht mehr. Dafür habe ich gelernt, was Blase heißt. Blister. Ich hätte auf dieses Wissen verzichten können.

Trotz dieser Probleme und einigen kleineren Schwierigkeiten war die Wanderung jedoch klasse, und einige Tage später haben wir heil und am Stück Fort William erreicht. Loch Lomond, Devils Staircase, und die Highlands an sich: Landschaftliche Höhepunkte bietet der Weg in Hülle und Fülle. Schafe und haarige Kühe, einsame Hütten, schroffe Berge. Ganz wie aus dem Bilderbuch. Beziehungsweise aus der Postkartendruckerei.
Dabei ist der Weg gut zu laufen, eine gewisse Grundkondition und Trittsicherheit reicht aus. Bis auf den schon erwähnten Staircase ist keine besonders anspruchsvolle Passage dabei. Beschilderung ist gut, Infrastruktur am und Abseits des Weges ebenfalls. Man kann jederzeit eine Etappe mit dem Bus abbrechen oder anfangen. Daher war der Weg als erste Fernwanderung eine gute Wahl. Zufällig.
Falls ihr jetzt meint, Mensch, Highlands, das ist eine gute Idee, dann tut mir bitte einen Gefallen. Geht nicht ganz so blauäugig los wie ich damals. Auf der offiziellen Seite findet ihr alles nötige: Etappen, Wandertipps, Adressunterkünfte.
Ich jedenfalls bin beim Bilder schauen wieder ins schwärmen gekommen und mache mich jetzt erst einmal daran, nach weiteren Wanderwegen in Schottland und generell auf der Insel zu suchen

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