West Highland Way
Aufräumen ist
manchmal eine feine Sache. Dinge bekommen wieder Struktur. Man weiß
was man hat. Und wo man es findet. Lang Vergessenes taucht auf. Gut,
manchmal verschwinden auch Sachen, von denen man vor dem Aufräumen
ganz genau wusste, wo sie zu finden sind. Aber unterm Strich ist es
eine gute Sache. Sowohl analog, als auch digital.
Beim Daten sichern
und auf Festplatten um schieben bin ich letztens über einen Ordner
mit Photos aus dem Jahr 2006 gestolpert. Darin befanden sich
ausschließlich Bilder von meinem Trip nach Schottland. Ein
wunderbarer Fund, bis dahin hatte ich nämlich nur die mit meiner
analogen Kamera geschossenen Bilder als Erinnerungsstücke. Das ich
auch ein paar mit der damals ach so neuen tollen Digitalkamera
gemacht hatte wusste ich zwar, wo der Datenklüngel inzwischen ist
allerdings nicht mehr. Umso größer die Freude beim Wiederfinden.
Schottland war
nämlich meine erste – und bisher leider einzige – ernst
zunehmende Mehrtageswanderung.
Zivi war vorbei,
etwas Neues schon in Sicht, aber bis dahin noch einige Wochen Zeit.
Was also tun? Keine Ahnung warum, aber eines Tages blätterte ich
halb Interessiert durch einen – damals schon recht veralteten –
Schottland Reiseführer aus der Lonely Planet Reihe. Darin war ein
kurzer Artikel über den „West Highland Way“. Einmal zu Fuß von
einem Glasgower Vorort durch die Highlands nach Fort William. Wandern
fand ich schon immer gut, und Schottland war ein so gutes Ziel wie
jedes andere. Warum also nicht? Ich habe dann meine damalige Dame
angerufen, um ihr zu sagen, das ich einige Tage nach Schottland will.
Innerlich habe ich mich schon auf eine längere Diskussion
eingestellt. Warum Schottland? Kalt, Nass, Bäh.
Tatsächlich war das
Gespräch erstaunlich kurz. „Schottland? Wandern? Bin dabei.“
Kurz darauf waren die Hin und Rückflüge gebucht. In Knapp drei
Wochen sollte es losgehen. Die erste sowie die letzte Übernachtung
in Glasgow waren reserviert. Im Großen und Ganzen war das auch schon
die ganze Vorbereitung. Jugendherbergsausweise, ein paar Pfundnoten,
ein paar Kleinigkeiten für die Ausrüstung.
Wir wussten wo es
los ging. Wir wussten wo wir ankommen sollten. Fertig.Was soll denn
schon schief gehen?
Schon nach der
ersten Etappe wurde uns klar, dass wir da etwas optimistisch waren.
Eine Karte war der Erste kauf. Der Weg ist zwar an sich gut
ausgeschildert, aber es wird manchmal etwas unübersichtlich.
Zweites Problem:
Unterkünfte. Der West Highland Way ist zwar sehr beliebt und
besitzt
daher eine gute Infrastruktur, aber an manchen Etappen ist es etwas
Eng mit dem Platz. Deshalb haben wir, nachdem wir die erste Nacht in
einem teuren Hotel mangels Alternativen übernachtet haben, immer
schon am Morgen uns einen Platz zum schlafen organisiert. Wer ein
leichtes Zelt sein eigen nennt, sollte es definitiv mitnehmen. Wir
wussten, dass es ein beliebter Wanderweg ist. Größtenteils merkt
man davon nichts, sieht vielleicht mal ein oder zwei andere Menschen
am Tag. Aber es gibt ein paar Ecken, da ballt es sich Richtig. Da
fühlt man sich dann mehr wie in einer Fußgängerpassage einer
Großstadt. Dort sind Unterkünfte besonders rar. Deshalb: plant
etwas im Voraus. Das Ganze ist immerhin schon knappe 15 Jahre her.
Und da das Wandern des Hipsters Lust ist, werden es wohl inzwischen
kaum weniger Menschen sein.
Drittens: Meilen
sind keine Kilometer. Das klingt erst einmal dämlich. Aber wenn man
Meilen liest und in Kilometern denkt, kann es durchaus schwierig
werden.
Eines Abends haben
wir an einem idyllisch gelegenen Bunkhouse, eine Schutzhütte, direkt
am Ufer des Loch Lomond, übernachtet. Es war das Ende unserer
dritten Tagesetappe. Gegen späten Abend kamen zwei ältere Damen den
Weg entlang. Zwischen ihnen stützten sie einen jungen Mann, der ganz
offensichtlich komplett am Ende war. „Den haben wir beim spazieren
gefunden.“ meinte eine der Damen in herrlich breitem Schottisch.
„Habt ihr noch Platz?“ Den hatten wir tatsächlich noch, und so
haben sie ihn bei uns abgeladen und sind fröhlich plappernd weiter
Richtung nächstes Dorf marschiert. Als ob ihnen so etwas öfter
passieren würde und es gar nicht nennenswert wäre. Wir haben unser
Pflegekind mit etwas Wasser, Kaffee und Beeren wieder aufgepäppelt.
Zunächst unterhielten wir uns in mäßig flüssigem Schulenglisch
miteinander. Bis er auf Deutsch murmelte: „Mist, was heißt Blase
auf Englisch?“. Ich schmunzelte und meinte: „Keine Ahnung.“ Das
Gespräch verlief von da ab um einiges einfacher. Wir fanden raus,
dass der Gute nach einem Blick auf die Karte die Etappen für
lächerlich kurz gehalten hat. So ist er am frühen Morgen los, um
drei dieser vermeintlichen Spazieretappen auf einmal zu machen. Tja,
Meilen sind keine Kilometer. Das hat er schmerzlich raus finden
müssen. Und während wir uns am nächsten Tag auf zum nächsten
Abschnitt gemacht haben, ist er noch geblieben um zu Kräften zu
kommen. Gesehen haben wir ihn nicht mehr. Dafür habe ich gelernt,
was Blase heißt. Blister. Ich hätte auf dieses Wissen verzichten
können.
Dabei ist der Weg
gut zu laufen, eine gewisse Grundkondition und Trittsicherheit reicht
aus. Bis auf den schon erwähnten Staircase ist keine besonders
anspruchsvolle Passage dabei. Beschilderung ist gut, Infrastruktur am
und Abseits des Weges ebenfalls. Man kann jederzeit eine Etappe mit
dem Bus abbrechen oder anfangen. Daher war der Weg als erste
Fernwanderung eine gute Wahl. Zufällig.
Falls ihr jetzt
meint, Mensch, Highlands, das ist eine gute Idee, dann tut mir bitte
einen Gefallen. Geht nicht ganz so blauäugig los wie ich damals. Auf
der offiziellen Seite findet ihr alles nötige: Etappen, Wandertipps,
Adressunterkünfte.
Ich jedenfalls bin
beim Bilder schauen wieder ins schwärmen gekommen und mache mich
jetzt erst einmal daran, nach weiteren Wanderwegen in Schottland und
generell auf der Insel zu suchen
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