Donnerstag, 10. Januar 2019

Aus dem Nähkästchen


Weihnachtsmarkt


Es ist seltsam dunkel und still auf dem Weihnachtsmarkt. Schattenhafte Gestalten huschen an mir vorbei, stumm und zu schnell um sie genau zu erkennen. Nur von einem Glühweinstand am Ende des Marktes scheint warmes Licht. Ich gehe darauf zu. Der Verkäufer ist ebenfalls nur schemenhaft zu erkennen. Schweigend reicht er mir einen Glühwein. An einem der Tische steht ein Bekannter von mir. Er winkt mich zu sich. „Na, wieder mal keine Ahnung was du schreiben sollst?“ fragt er als ich bei ihm stehe. „Wie kommst du denn da drauf?“. „Du kommst immer hierher wenn du mal wieder keine Idee hast, was du mit dem weißen Stück Papier anfangen sollst.“ Ich zucke die Schultern. „Mag sein. Wo sind die anderen?“ „Keine Ahnung“. Er nippt an seinem Glühwein. Leises klimpern ertönt im Hintergrund. „Das ist aber auch nicht so wichtig. Ich habe die perfekte Idee. Die anderen Idioten brauchst du gar nicht mehr anzuhören.“
Das Klimpern wird etwas lauter. Ich schaue mich um, kann aber nicht erkennen woher es kommt.
„Mach eine Liste. Eine Top 2018. Das ist der Renner. Jeder macht das. Album des Jahres. Buch des Jahres. Sack Reiß des Jahres. “ Ich schaue ihn zweifelnd an. „Deine tolle Idee ist eine Liste? Am Ende des Jahres? Das ist ja so verdammt kreativ!“ Das Klimpern erreicht eine Lautstärke, die ganz langsam jeden einzelnen Nerv quält. „Hey, ich habe gesagt eine gute Idee. Keine Kreative! Und verdammt kann das Vieh nicht endlich ruhig sein.“ Mit einer katzengleichen Bewegung schleudert er seinen Becher an mir vorbei in die Dunkelheit. Ein erschrockenes Quieken ertönt. Kurz darauf rennt ein kleiner Affe an uns vorbei. Er hat einen kleinen Hut auf. In einer Hand hält er einen Schellenring. Eine logische Erklärung für das Klimpern. Laut keckernd verschwindet er aus meinem Blickfeld. Die folgende Stille ist auf eigentümliche weiße ähnlich Laut wie der Krach zuvor. 

Mein Gegenüber seufzt erleichtert. „Schon besser. Bei dem Krach kann man sich ja kaum konzentrieren.“ Er nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Tasse. Ich habe keine Ahnung, wie er das gemacht hat. Aber sie steht voll und dampfend vor ihm. Ein weiteres klimpern ertönt. „Verdammtes Drecksvieh!Zieh endlich ab“ schreiend verwandelt er seine Tasse erneut zu einem Wurfgeschoss. Mit einem lauten Klirren zerspringt sie irgendwo im Nichts. Ein dröhnendes Lachen ertönt. „Genau das hat zuletzt eine süße Perle in der Disco zu mir gemeint.“ sagt eine tiefe Stimme. Ein langhaariger Kerl tritt aus dem Schatten und gesellt sich zu uns an den Tisch. Er sieht aus als hätte jemand versucht, sämtliche Klischees und Vorurteile über langhaarige Bombenleger in einer Person zu vereinen. Das Klimpern stammt von einer Unzahl von Nieten und Metallketten , welche er an jeder denkbaren Stelle seines Körpers trägt. Und auch an einigen undenkbaren.
„Muss wohl mein natürlicher Charme sein. Na Poser? Mal wieder keine Ahnung was du schreiben sollst?“ wendet er sich an mich. „Keine Sorge, ich bin ja endlich da. Und ich habe die Antwort: Manowar!“ Mister Liste schnaubt verächtlich. „Manowar? Das ist wohl immer deine Antwort. Kein Stoff für einen Artikel? Manowar! Keine Frau zum lieb haben? Egal, Manowar!“ „Er hat recht.“ mische ich mich ein. „Außerdem habe ich schon über ihr Debut geschrieben.“ „Pah ein Album. Was ist schon ein Album. Manowar haben jede Menge Alben raus gebracht. Allesamt Meilensteine!“ „Achja? Ich dachte immer, sie haben einfach nur die Coverbildchen ausgetauscht. Es klingt doch alles so dermaßen gleich, dass es keinem auffällt wenn sie einem immer wieder das gleiche Album verkaufen.“ Zwischen den beiden entwickelt sich ein Wortgefecht, dessen Niveau jeden RTL2 Schreiberling vor Neid erblassen lassen würde.

Eine Hand tippt auf meine Schulter. Ich drehe mich um. Ein hochgewachsener Typ in Outdoor Klamotten steht hinter mir. In seinem kurzen Karohemd sieht er etwas deplatziert aus. „Ha, ich bin noch rechtzeitig zur großen Show gekommen.“ sagt er. „Worum geht es diesmal? Manowar?“
Ich nicke. „Hm, ja das ist genauso zuverlässig wie vergammelter Fisch. Du ich bleib nur kurz. Ich habe heute nichts. Draußen ist es Arschkalt und ungemütlich. Und der feine Herr war dieses Jahr doch recht Lauf faul. Somit ist der Ideen Pool für „Raus. Gehen.“ recht kümmerlich. Achja, der Bücherwurm lässt sich auch entschuldigen. Er ist etwas beleidigt, weil er immer öfter als halbgarer Lückenfüller benutzt wird. Er lässt dir ausrichten, dass wenn du wieder mal ein richtig gutes Buch vorstellen willst, du dich endlich hinsetzen und eins zu Ende lesen sollst“ Mit diesen Worten dreht er sich um, winkt kurz und verschwindet in der Dunkelheit. Ich seufze. Wirklich hilfreich war das nicht. Der letzte Schluck Glühwein ist kalt und schmeckt schal. Nein, ich habe keinen Grund mehr zu bleiben. Ich stelle meine leere Tasse ab und lasse die beiden Streithähne alleine. An diesem Punkt ihrer Streitereien ist die Außenwelt für sie eh vergessen. Langsam verlasse ich den Weihnachtsmarkt.

Ich sitze vor meinem Computer. Der Versuch, meine Gedanken mit Imagination zu sortieren, ist diesmal furchtbar gescheitert. Nichts außer Affen und Manowar.
Dann durchzuckt es mich wie ein Blitz. Ich lächele und beginne zu schreiben:
„ Es ist seltsam dunkel und still auf dem Weihnachtsmarkt...“

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