Donnerstag, 14. Dezember 2017

Aus dem Nähkästchen


Die Idee

Heute ist es endlich soweit. Ich fange an. Die Idee habe ich schon mehrere Wochen im Kopf. Erst klein und unscheinbar hat sie sich im hintersten Eck meines Gehirns eingenistet. Und ist dort gewachsen. Wurde größer. Konkreter. Und drängte sich immer öfter in den Vordergrund. Gegen Ende schrie sie geradezu danach, endlich umgesetzt zu werden.
Also sitze ich hier. Neben mir eine Kanne Kaffee. Nervennahrung in Form von Studentenfutter ist in Griffweite. Der PC ist hochgefahren, das Schreibprogramm läuft. Jetzt. Und während ich die leere Seite betrachte, schleicht sie die Idee wieder zurück in ihre stille Ecke. Die ganzen guten Sätze und Pointen, die ich gerade nur zu greifen brauchte – weg.
Nun ja, nicht so schlimm. Ich muss eh noch Wäsche waschen.

so ähnlich sieht es manchmal in meinem Kopf aus
Es ist 3 Stunden später. Die Wäsche gewaschen und aufgehängt. Die Küche ist auf Hochglanz poliert. Mein Trockenvorratsregal neu sortiert und geordnet. Und das Beste: die Idee ist aus ihrem Exil in den tiefen meines Gehirns zurückgekehrt und sprüht geradezu vor Tatendrang.
Also zurück vor den PC. Überschrift. Dann der erste Satz. Ich muss zugeben, der ist richtig gut. Die Idee schaut mir über die Schulter. Zusammen lesen wir ihn nochmal genau durch. Was für eine Grütze. Ich lösche Ihn. Der Cursor blinkt erwartungsvoll.
Die Idee beginnt sich zu langweilen. Ein kleiner Affe mit einer kleinen Trommel vor dem Bauch tritt neben sie. Zu dritt starren wir auf den leeren Bildschirm. „Tschak“. Der Affe haut einmal auf seine Trommel. Dann betrachten wir wieder den Bildschirm. „Tschak Bumm.“ Der Affe hat das Interesse verloren und beginnt, immer lauter seine Trommel zu bearbeiten. Der Idee gefällt das, Sie beginnt im Rhythmus zu springen und zusammen ziehen sie fröhlich lärmend davon. Ich seufze. Na gut. Immerhin ist die Überschrift gut, kernig und griffig. Ich speicher ab, schließe das Programm und öffne den Browser. 5 Minuten Pause werden mir bestimmt helfen meine Gedanken zu sortieren.

Zuerst besuche ich die Seite einer großen Tageszeitung, um zu erfahren was in der Welt heute passiert ist. Nach dem durchlesen der Schlagzeilen weiß ich, dass alle Spinnen und die Welt einen Schritt näher an den Abgrund gerückt ist. Also nichts Neues in den Nachrichten. Aber da ganz unten auf der Seite ist ein Artikel, der meine Aufmerksamkeit erregt: „Die 5 lustigsten Tiervideos im Netz“. Das ist perfekt, ich werde mir die anschauen und danach mit frischem Schwung mich um meinen Text kümmern. Klick. Ein süßes Katzenbaby prügelt wie besessen auf einen Kaktus ein. Klick. Ein Wombat benutzt eine Schildkröte als Taxi.
Am Ende habe ich mehr als die 5 Videos geschaut. Nach den 5 lustigsten Tiervideos habe ich die nächste Liste angeklickt: Tierbabys beim ersten füttern. Unendlich goldig. Und da - ein Labrador, der versucht mit seinem zu breiten Stöckchen durch die Tür zu passen. Klick. Klick. Klick.
Ich will mir einen Kaffee einschenken, schaue auf und stelle fest, dass ich die Kanne nur noch schemenhaft erkennen kann. Draußen ist die Sonne am untergehen, und der Tag, welcher doch gerade erst angefangen hat, neigt sich dem Ende. Ich mache dass Licht an und atme einmal Tief durch. Dann öffne ich wieder das Schreibprogramm. Die Überschrift, schon groß und in dicken Buchstaben geschrieben, scheint mich hämisch an zu grinsen. Und auch das blinken des Cursors scheint diesmal ein verächtliches Lachen zu sein. Ich schließe kurz die Augen, versuche mich zu konzentrieren und suche meinen Geist nach der Idee ab. Nichts. Ich nehme einen großen Schluck Kaffee und warte, bis die belebende Wirkung einsetzt. Aber auch hier Fehlanzeige. Während ich also dasitze und zu nichts anderem in der Lage bin als den verdammten Bildschirm anzustarren, werde ich langsam schläfrig. Dann finde ich in einer hinteren Ecke meiner Gedanken die Idee. Sie sitzt an einem Tressen. Die leeren Flaschen von ihr bezeugen, dass sie eine gute Zeit mit dem Affen hatte. Der ist nicht mehr zu sehen. Die Idee sieht auch nicht mehr alzu fitt aus, versonnen schaut sie in ihre Flasche. Vom Enthusiasmus und der Energie von heute Morgen ist nichts mehr übrig. Stattdessen ist sie eingehült in einem Mantel aus Selbstzweifel und Melancholie. Vor morgen Früh ist die nicht mehr zu gebrauchen. Na gut, eh Zeit für ins Bett zu gehen. Nach einem letzten Blick auf das leere Blatt fahre ich den PC herunter. Schlafenszeit.

Am nächsten Tag weckt mich die Sonne. Ich stehe auf und mache das Fenster auf. Ein Morgen wie aus dem Bilderbuch begrüßt mich. Klare Luft, blauer Himmel und das Zwitschern von unendlich vielen Vögeln. Ich atme tief ein. Heute ist es endlich soweit. Ich fange an.


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