Donnerstag, 12. März 2020

Bücherkiste


Rüdiger Barth und Hauke Friederichs

Die Totengräber

Der letzte Winter der Weimarer Republik



Stöbern – nicht nur bei Musik stolpere ich so immer wieder über Dinge, die sonst wohl komplett an mir vorbeigegangen wären. „Die Totengräber“ lag in einem Buchladen, der ausschließlich Mängelexemplare und anderweitig reduzierte Artikel führt. Ein Laden, in dem man nichts gezielt sucht. Aber immer wieder etwas findet.
Winter 1932\33. Die Wirtschaftskrise hat Deutschland im Griff. Auf den Straßen toben Kämpfe zwischen Linken und Rechten. Und die Politik scheitert regelmäßig daran, so etwas wie Stabilität zu erzeugen. Franz von Papen ist Kanzler, hat aber weder im Parlament noch in der Bevölkerung den nötigen Rückhalt. Im Hintergrund schmieden die verschiedenen politischen Strömungen ihre Ränke. Alles schaut auf den Reichspräsidenten Hindenburg: er hat die Macht, Kanzler abzusetzen und zu ernennen. 


Auch wenn der Klappentext von die Totengräber sich wie ein politischer Thriller liest, handelt es sich hierbei keineswegs um einen Roman mit erfundenen Figuren und Handlungen. Rüdiger Barth und Hauke Friederichs benutzen Tagebücher, Zeitungen, Briefe und öffentliche Dokumente als Grundlage, um die letzten Tage der Weimarer Republik aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen. Dabei folgt man keinem festen Erzählablauf. Vielmehr setzt sich jeder Tag aus Schnipseln und Erlebnissen verschiedener Personen zusammen. Hitler, Schleicher und Papen stehen zwar im Mittelpunkt, aber auch Autoren wie Abraham Plotkin und Redakteure wie Bella Fromm tauchen immer wieder auf. Anfangs ist das für mich etwas Verwirrend gewesen. Es wird viel hin und her gesprungen. Hier ein Treffen führender Politiker, da ein Spaziergang im Park, dort ein Besuch in der Oper. Das Alles wirkt Anfangs etwas fragmentarisch. Wenn man sich allerdings daran gewöhnt hat, ergibt sich ein beeindruckendes Stimmungsbild einer Republik zwischen Elend und Luxus.

Grundsätzlich gilt: es handelt es sich hier nicht um ein Sachbuch der klassischen Art, das uns mit Daten und Fakten durch die Ereignisse führt. Fußnotenfetischisten werden hier nicht glücklich.
Eine gewisse Grundkenntnis der Ereignisse 1932\33 und die Zustände in der Weimarer Republik sind durchaus von Nutzen. Eine kleine Chronik am Ende des Buches ist da hilfreich, wer sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt hat, sollte diese vielleicht zuerst lesen.

Mir hat das Lesen sehr viel Spaß gemacht – für ein Sachbuch eine reife Leistung. Der Spagat zwischen Unterhaltung und Information gelingt hier relativ gut, es ist nie trocken oder zäh zu lesen. Es ist ein gelungenes Porträt der letzten Tage der ersten Demokratie auf deutschem Boden. Und deren Scheitern. Am Ende ahnt man ein bisschen, wie es damals gewesen sein muss. Eine Gesellschaft, gespalten zwischen Arm und Reich. Alltag und Chaos.
Wir alle haben in der Schule gelernt, dass die Republik gescheitert ist. Die Frage, die sich mir jedoch immer noch stellt, ist die nach dem warum. Die Totengräber liefert hier auch keine Antwort. Ich glaube nicht, dass es eine Frage ist, die jemals ganz beantwortet werden kann. Aber der etwas andere Blickwinkel und der Versuch, die Stimmung dieser Zeit einzufangen, fügen ein weiteres, wichtiges Teil zu dem Gesamtbild der Weimarer Republik hinzu. Für mich absolut lesenswert. Besonders, wenn man sich die aktuellen Entwicklungen anschaut. Natürlich, man kann von der Vergangenheit nicht eins zu eins auf die Gegenwart schließen. Zu unterschiedlich sind die Grundvoraussetzungen, Begebenheiten und handelnden Personen. Aber es gibt trotzdem auffallende Ähnlichkeiten: eine immer tiefere Spaltung der Gesellschaft, ein Kampf um die modernen Medien und – wie zuletzt in Thüringen – immer schwierigerer politische Verhältnisse. Ich bin mit der Überzeugung „Nie mehr!“ aufgewachsen. So langsam jedoch wird diese immer mehr zur Frage: „Nie mehr?“

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